Mit zwei Pfennigen gegen AKWs

Neuer Schwung in der Ausstiegs-Debatte: Fachleute bestätigen Studie über Gas als wirtschaftliche Alternative zu Atommeilern  ■ Von Achim Fischer

Die Hamburgischen Electricitäts-Werke (HEW) sollen ihre Ankündigung wahr machen und das AKW Brunsbüttel stillegen, forderte gestern der Kieler Energie-Staatssekretär Wilfried Voigt. Er verwies dabei auf die „betriebswirtschaftlich günstigeren Daten moderner Gaskraftwerke“. Hersteller und Betreiber sogenannter Gas- und Dampfturbinen(GuD)-Anlagen bestätigten erneut gegenüber der taz eine Auftragsstudie der GAL, wonach GuD-Anlagen schon bei heutigen Gaspreisen billiger Strom produzieren als bestehende Atommeiler.

HEW-Chef Manfred Timm hatte dagegen am Wochenende wiederholt, erst bei stark sinkenden Gaspreisen lohne es sich, Brunsbüttel zugunsten einer GuD-Anlage stillzulegen (taz berichtete gestern). Die Gründe, warum ihre Kalkulation von bundesweiten Erfahrungswerten abweicht, nennen die HEW allerdings nach wie vor nicht.

Die Studie in Kurzfassung: Strom aus GuD-Anlagen kostet 5,9 Pfennige pro Kilowattstunde (kWh), bei einem Gaspreis von zwei Pfennigen pro thermischer Kilowattstunde. Mit steigenden Energiekosten steigt auch der Strompreis. Bei drei Pfennigen für das Gas kostet eine kWh GuD-Strom demnach 7,6 Pfennige. Zum Vergleich: Die vier AKWs Brunsbüttel, Brokdorf, Krümmel und Stade, an denen die HEW beteiligt sind, produzieren ihre Energie nach Angaben von Timm für sieben bis zwölf Pfennige.

Die Grünen gehen von einem derzeitigen Gaspreis von zwei Pfennigen aus und damit von Stromproduktionskosten von 5,9 Pfennigen. Konsequenz: GuD-Anlagen wären trotz Neubaukosten billiger zu betreiben als bestehende AKWs. Die HEW müßten so schnell, wie es ihre Verträge mit den einzelnen Kraftwerksgesellschaften zulassen, die Atommeiler stillegen, um nicht das Geld ihrer Aktionäre in wirtschaftlich suboptimalen Anlagen zu verschwenden.

Der bayerische Anlagenbauer Siemens KWU, international tätiger Hersteller von GuD-Anlagen, bestätigte die Berechnungsgrundlage der GAL. Sowohl die kalkulierten Investitionskosten als auch die Annahmen zur technischen Leistungsfähigkeit entsprächen den Erfahrungen des Unternehmens, sagte ein Firmensprecher. Die errechneten Stromproduktionskosten zwischen 5,9 und 7,6 Pfennigen seien „durchaus im realistischen Bereich“. Nach Einschätzung von Wolfgang Pfaffenberger, Leiter des Bremer Energieinstitutes, ist mit GuD-Anlagen ein Preis von sechs bis sieben Pfennigen „zu erreichen“– bei einem Gaspreis von zwei Pfennigen und Ausnutzung der Abwärme des Kraftwerkes, etwa für ein Fernwärmenetz.

Betreiber der modernen Gaskraftwerke sprechen von noch günstigeren Konditionen. 5,9 Pfennige pro kWh GuD-Strom „sind realistisch“, sagt Christian Gotthardt, Sprecher der Hamburger Vasa Energy. Das Unternehmen leitete den Bau mehrerer GuD-Kraftwerke in den neuen Bundesländern und betreibt die Anlagen im Auftrag der dortigen Stadtwerke. Der Preis von knapp sechs Pfennigen gelte auch bei reiner Stromproduktion, stellt Gotthardt klar, also unter den Bedingungen, wie sie die GALier – mangels interessierter Kundschaft für die Abwärme – für Hamburg kalkuliert haben. Zugrunde gelegter Gaspreis auch hier: Zwei Pfennige.

Die Grünen haben nach den Erfahrungen der Vasa Energy in ihrer Studie noch vorsichtig gerechnet. Statt Investitionskosten von 900 Mark je installiertem Kilowatt Leistung seien mittlerweile auch Angebote über 800 Mark auf dem Markt. Oder: Die festen Betriebskosten – etwa für Personal und Instandhaltung – von 50 Mark je Kilowatt Leistung seien „recht hoch“angesetzt. Und der Gaspreis von zwei Pfennigen? Auch hier die Antwort: „Durchaus realistisch – als heutiger Preis“, sagt Vasa-Sprecher Gotthardt.

Das bestätigt auch Wolfgang Pfaffenberger vom Bremer Energieinstitut. Das Statistische Amt der Europäischen Union Eustat ermittelte für deutsche Großkunden im vergangenen Jahr einen durchschnittlichen Industriegaspreis von 1,95 Pfennigen. Die HEW zahlen nach eigenen Angaben 2,3 Pfennige.

Doch der Streit um Zehntelpfennige ist zweitrangig angesichts einer anderen Frage. Niemand weiß, wie sich die Gaspreise in den kommenden Jahren entwickeln werden. Aus Rußland und England kommen neue Kapazitäten auf den Markt, die EU möchte, ähnlich wie auf dem westeuropäischen Strommarkt, die Konkurrenz unter den Anbietern fördern. Das spricht für sinkende Preise. Gleichzeitig aber rechnen alle Beteiligten mit einem steigenden Gasverbrauch und fürchten dadurch steigende Preise.

HEW-Chef Timm hatte Anfang Juli im taz-Interview angekündigt, er werde nur auf Grundlage eines Vertrages mit garantiertem Festpreis von 1,5 Pfennigen über 15 Jahre eine GuD-Anlage bauen. Eine Preisfestlegung über 15 Jahre sei jedoch „völlig unrealistisch“, winkt Detmar Müller-Landré ab, Sprecher der Hamburger Gaswerke (HGW). Gleiches bestätigen die beiden Vorlieferanten der HGW, die Hannoveraner BEB und die Kasseler Wingas. Die Lieferverträge, auch mit Großkunden, enthielten in der Regel sogenannte Anpassungsklauseln. Danach werde der Gaspreis dem wechselhaften Ölpreis angepaßt.

„Wir glauben, daß die Anlehnung an den Ölpreis auf Dauer aufweichen wird“, sagt Wingas-Sprecher Marc Vogel. Und Vasa-Mitarbeiter Gotthardt schätzt: „Derzeit haben alle Verträge Anpassungsklauseln. Aber das Vertragswesen wird sich sehr stark differenzieren. Das ist dann eine Frage der Konkurrenzsituation vor Ort und des Verhandlungsgeschicks.“Nach Recherchen der Grünen unter bundesdeutschen Gaslieferanten könnten die HEW schon heute einen Festvertrag über zwei Pfennig mit einer Laufzeit von 15 Jahren abschließen.

Die HEW aber bleiben dabei: 1,5 Pfennige Gaspreis müssen es schon sein. Die Berechnungen der GAL möchte das Unternehmen nicht kommentieren. Die eigenen Kalkulationen offenlegen möchte der Konzern aber auch nicht. „Wir sagen dazu in Zeiten des Wahlkampfes nichts“, so ein Unternehmens-Sprecher. „Vielleicht können wir nach dem 21. September mehr dazu sagen.“