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Nahostreise mit offenem Ausgang

Der Besuch von US-Außenministerin Albright erfolgt zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt, um den Friedensprozeß zwischen Israelis und Palästinensern wieder anzukurbeln  ■ Aus Washington Peter Tautfest

Heute trifft die US-amerikanischen Außenministerin Madeleine Albright zu einem etwa einwöchigen Besuch im Nahen Osten ein. Geplante Stationen ihrer Reise sind Israel, Palästina, Ägypten, Saudi-Arabien und Syrien. Ob auch der Libanon zu ihren Reisezielen gehört, stand zu Beginn ihrer Mission ebenso wenig fest wie deren genaue Dauer. Doch auch mit zeitlich offenem Ausgang soll sie nicht den Charakter früherer Pendeldiplomatien annehmen.

Anfang August überraschend als Möglichkeit angekündigt, findet Albrights Reise nun zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt statt. Eigentlich war ein direktes Eingreifen der Außenministerin mit der Einschränkung in Aussicht gestellt worden, ihre Reise müsse gut vorbereitet und eines Ergebnisses sicher sein. Heute fährt sie eher als Reaktion auf Ereignisse denn als deren Gestalterin. Wenn schon Anfang August Fortschritte in den Nahostverhandlungen schwer vorstellbar waren, grenzen sie nach dem jüngsten Bombenanschlag in Jerusalem an ein Wunder.

Kansas und die US-Außenpolitik

Nach den Schuldzuweisungen des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu an die Palästinenser und den Vorwürfen Arafats, Israel wolle hinter das Osloer Abkommen zurückfallen, gibt es kaum noch Verständigungsbereitschaft zwischen beiden Seiten. Die Bombenanschläge haben darüber hinaus die öffentliche Meinung in den USA gegen Arafat eingenommen. Albright tritt ihre Reise mit Vorschlägen aus dem Kongreß an. Ein Brief von Abgeordneten des Repräsentantenhauses rät, Arafat nur eines zu signalisieren: „Jede Unterstützung seitens der USA setzt Planung und Verwirklichung einer Strategie zur Ausrottung des Terrors in den von Palästinensern kontrollierten Gebieten voraus.“ „Albrights Gespräche können sich getrost auf einen einzigen Tagesordnungspunkt beschränken“, ergänzt Charles Schumer, demokratischer Abgeordneter aus New York, „das Ausmerzen des Terrors.“ Am Wochenende veröffentlichten vier republikanische und ein demokratischer Senator einen offenen Brief an den Präsidenten, in dem sie ihn drängen, Arafat die Schuld für den Zusammenbruch des 1993 unterzeichneten Friedensabkommens von Oslo zu geben. Das alles ist freilich weniger ein Beitrag zum Friedensprozeß im Nahen Osten als innenpolitischer Kanonendonner. Ein ungenannter Beamter im State Department hat Ende der 80er Jahre einmal gesagt, wer in der amerikanischen Außenpolitik Erfolg haben will, muß die Menschen und Verhältnisse in Kansas besser verstehen als die in Kasachstan. Was soviel heißt wie, daß der Resonanzboden für amerikanische Außenpolitik stets die amerikanische Provinz ist. Auf der Beherzigung dieses Grundsatzes beruhten bisher Albrights Popularität und Erfolg. Sie hat wie keiner der bisherigen Inhaber des Außenamts verstanden, daß auch Außenpolitik medienwirksam in Szene gesetzt werden und sich der Unterstützung Middle Amerikas versichern muß. Für sie wäre es ein leichtes, aus dieser Reise innenpolitisches Kapital zu schlagen, in dem sie in der ihr gewohnten unverblümten Art Arafat die Leviten liest. Netanjahu, der in den USA studiert hat, kennt die Bewegungsgesetze amerikanischer Politik und vertraut auf eben diesen innenpolitischen Druck auf die Außenministerin.

Doch bei der ursprünglichen Ankündigung ihrer Nahostreise ließ Albright Anfang August durchblicken, daß sie gewillt ist, auch Netanjahu die Meinung zu sagen. „Bomben und Bulldozer sind nicht miteinander zu vergleichen“, lautete ihre griffige Formel, aber mit dem israelischen Siedlungsbauprojekt in Har Homa im Weichbild Jerusalems sei versucht worden, den Status der Stadt zu präjudizieren, eine Frage, deren Lösung ausdrücklich den Verhandlungen zwischen beiden Parteien vorbehalten sei. Das war eine deutliche Kritik an Netanjahu. Bekanntlich kam durch den Baubeginn Anfang des Jahres völlig zum Erliegen, was vom Friedensprozeß übriggeblieben war. Da Albright aber nicht nur populär bleiben, sondern auch reale Fortschritte erzielen will, wird sie nicht darauf verzichten können, amerikanische Interessen auch gegen Netanjahu durchzusetzen.

Den Erfolg des Golfkriegs für die USA bewahren

Die Außenpolitik der USA im Nahen Osten hatte stets zwei Ziele, die nicht immer miteinander im Einklang stehen. Sie beziehen sich auf die Region als Ganzes, in der Israel nur eine kleine Macht unter vielen großen ist, und sind zugleich von der Rolle einer Garantiemacht für Israel geprägt, die Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg als moralisches Erbe aus dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus zugewachsen ist. Die Region insgesamt stellt eine geopolitische und geostrategische Einheit dar, deren Gestalt und Dynamik weit in die Geschichte zurückreicht. So wie Briten und Franzosen das Erbe des osmanischen Reichs antraten, das vom Atlas bis in den Balkan reichte, so haben die USA das Erbe dieser zusammengebrochenen Kolonialimperien angetreten. Friedliche Konfliktlösung in dieser Region garantiert nicht nur die Energieversorgung der industrialisierten Welt, sondern den Weltfrieden in einer explosiven Region. „Es gibt im Orient einen Tambour“, schrieb 1914 Frankreichs imperialer Prokonsul Marschall Lyautey, „und wenn er seine Trommel rührt, hört man seinen Schlag vom Atlas bis zum Hindukusch, und die Völker fallen in den Tritt.“ Im Golfkrieg kamen die USA beiden Postulaten ihrer Nahostpolitik nach, sie einigten fast die gesamte Region gegen den Irak und schützen zugleich Israel vor einer Aggression aus dem Irak. Den Preis für diesen Schutz hat Israel durch seine Einwilligung in das Friedensabkommen von Oslo entrichtet. Albright geht es jetzt um nichts Geringeres als den Erhalt der Früchte des Golfkriegs. Ein erneutes Aufbrechen des Nahostkonflikts entlang einer deutlichen Scheidelinie zwischen Israel und den arabischen Ländern würde den Frieden dieser Region gefährden und den Marsch seiner Völker zum Trommelschlag fanatischer Rattenfänger begünstigen.

Madeleine Albright wird also nicht nur ihre Popularität und Arafats Unpopularität, nicht einmal nur den Frieden in Palästina und Israel im Auge haben, sondern Einheit und Frieden, die wirtschaftliche Prosperität und die politische Zukunft einer ganzen Region, für deren Gestaltung die USA allerdings niemals Israel opfern werden.

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