piwik no script img

Waigel will keinen Konsens mehr

In der Haushaltsdebatte des Bundestages präsentiert der Finanzminister den Nachtragsetat 1997 sowie den Haushalt 1998 und fordert ganz nebenbei eine Reform des föderalen Systems  ■ Aus Bonn Bettina Gaus

War es die Erinnerung an die öffentlich eingestandene Amtsmüdigkeit, die Theo Waigel so lustlos erscheinen ließ? Eine mühsame Pflichtübung schien der Finanzminister gestern im Parlament zu absolvieren: Er brachte den Nachtragshaushalt für das laufende Jahr und den Bundeshaushalt für 1998 in den Bundestag ein. Gleichförmig, fast tonlos trug er seine Rede vor. Darin war viel von der günstigen Konjunkturlage und der Hoffnung auf bessere Zeiten die Rede. Der Satz, in dem Waigel die Misere der leeren Kassen zusammenfassen mußte, ging im allgemeinen Zahlenwerk fast beiläufig unter: „Eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts liegt vor.“ Die Schuldfrage dabei ist für den Finanzminister ausgemacht: Es liege an der hohen Arbeitslosigkeit.

Die Monotonie des Vortrags zeigte Wirkung. Die Reihen der Abgeordneten waren in dieser ersten Sitzung nach der Sommerpause fast vollständig besetzt. Aber je länger der CSU-Chef sprach, desto weniger Parlamentarier schienen ihm zuzuhören. Bundeskanzler Helmut Kohl blickte kaum je von den Akten auf, die er während der Rede seines Finanzministers las und mit gelbem Leuchtstift markierte.

Das Mittel des geschrobenen, umständlichen Stils erfüllte seinen Zweck. „Der versteckt alle Klöpse so, daß ich sie als O-Ton nicht bringen kann“, stöhnte eine Fernsehjournalistin. „Schon interessant, welche Sprache die benutzen, wenn sie mit etwas nicht zitiert werden wollen.“ Theo Waigel sprach nicht davon, daß der Verkauf von Staatsbetrieben und deutschen Rohölreserven Geld für die Deckung laufender Ausgaben hereinbringen soll. Er sagte: „Wir aktivieren ein Privatisierungspotential von rund 19,5 Milliarden Mark.“

Derlei Sätze eigneten sich für die Opposition nicht einmal zu Zwischenrufen. Die zeigte mit dem angeschlagenen Finanzminister sogar Mitgefühl: „Der Sündenbock ist kein Herdentier. Deshalb steht Theo Waigel in der Krise ziemlich allein da“, bemerkte Oswald Metzger, der finanzpolitische Sprecher der Bündnisgrünen, und stellte fest, der Finanzminister müsse sich „im Zangengriff von objektiven Daten und intriganten Parteifreunden bewegen“.

Ingrid Matthäus-Maier wandte sich direkt an den CSU-Chef. Wenn sie ihn so sehe, wie er zwischen der FDP mit ihren unerfüllbaren Forderungen und der CSU eingeklemmt sei, die ihn beim Euro in die Mangel nehme, „dann tun Sie mir manchmal leid.“ Lange aber hielt das Mitleid nicht vor: „In Deutschland ist niemand gezwungen, Finanzminister zu sein.“

Dann wurde die sozialdemokratische Finanzexpertin konkret. Kühl rechnete sie vor, welche Risiken der Haushaltsentwurf berge: Wenn die Bundesbank die Zinsen nur um ein Prozent erhöhe, werde das den Bund mit zusätzlichen Zinsen in Höhe von 2,4 Milliarden belasten – der doppelten Höhe des gesamten Umwelthaushalts. Schon jetzt werden 25 Prozent der gesamten Steuereinnahmen des Bundes von den Zinsen des Schuldendienstes aufgebraucht. „Der Bund verhält sich so, wie jemand, der zur Schuldnerberatung gehen muß“, sagte Ingrid Matthäus- Maier. Wenn sie nur wollen, können auch Finanzpolitiker eine klare, unmißverständliche Sprache sprechen.

Das gilt im übrigen auch für Theo Waigel. Erstmals forderte er gestern eine Reform des föderalen Systems. Die Regierung ist es offenbar endgültig leid, bei wichtigen Gesetzen Rücksicht auf die SPD- Mehrheit im Bundesrat nehmen zu müssen. Eine „Rückführung des Konsenszwanges“ wünscht der Finanzminister. Bund und Länder müßten in der Lage sein, „finanzpolitisch wichtige Politikkonzepte autonom durchzusetzen“. Da applaudierten die Unionsabgeordneten stürmisch.

Noch ist es aber nicht soweit. Deshalb hat Theo Waigel gestern in seiner Rede ein neuerliches Verhandlungsangebot an die SPD für eine Einigung im Streit um die Steuerreform versteckt. Er ließ durchblicken, daß auf eine reale Nettoentlastung für das nächste Jahr eventuell verzichtet werden könne.

Wie sich die FDP zu diesem Vorstoß stellt, bleibt abzuwarten. Er habe den Finanzminister nicht so verstanden, daß dieser bereit sei, auf eine Nettoentlastung für 1998 zu verzichten, erklärte FDP- Generalsekretär Guido Westerwelle gegenüber der taz. „Die Nettoentlastung ist das Ziel der Steuerreform, und jeder Schritt muß auch eine Nettoentlastung bringen.“

Gestern war im Bundestag die Stunde der Experten. Heute sollen die „Elefanten“ der Fraktionen in den Ring steigen. Dem Parlament steht ein Marathon bevor. Sechs Stunden gestern, sieben heute, morgen gar neun, und am Freitag noch einmal zwei Stunden werden sich die Abgeordneten mit Haushaltsfragen befassen. Als Parlamentspräsidentin Rita Süssmuth dieses Ergebnis einer Vereinbarung zwischen den Fraktionen gestern zu Beginn der Sitzung verlas, lief ein unterdrücktes Stöhnen durch die Reihen. Dabei steht in dieser Woche nur die erste Lesung auf der Tagesordnung. Die endgültige Schlußberatung ist erst für Ende November geplant.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen