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„Es war wie im Krieg“

■ TeilnehmerInnen des Friedenszuges „Musa Anter“aus Deutschland sind wieder auf freiem Fuß / Zwei Frauen aus Oldenburg kehrten verletzt aus der Türkei zurück

Seit Dienstag nacht sind alle elf in der Türkei verhafteten deutschen StaatsbürgerInnen wieder zu Hause. Unter den Verhafteten befanden sich auch drei OldenburgerInnen. Sie waren als TeilnehmerInnen des Friedenszuges „Musa Anter“– benannt nach einem 1992 ermordeten kurdischen Schriftsteller – am Mittwoch vor einer Woche in Istanbul verhaftet worden (vgl. taz von 5.9.97). Als Letzte wurden Rosemarie Pottharst aus Oldenburg und Ute Steinberg aus Hagen aus der Türkei abgeschoben. Beide waren bei einer Polizeiattacke so schwer verletzt worden, daß sie in einem Istanbuler Krankenhaus behandelt werden mußten. Noch am Montag waren sie wieder von der türkischen Polizei verhört worden – an diesem Tag hätten sie eigentlich ausreisen sollen.

Verletzt wurden die Frauen, als türkische Polizeikräfte in Istanbul das Hotel „Mim“stürmten. Dort wollte die Friedensdelegation „Musa Anter“ein Abschlußgespräch abhalten. Bei der Stürmung erlitt Ute Steinberg, Mutter von vier Kindern, einen Halswirbelanbruch und Rosemarie Pottharst einen komplizierten Fußbruch und Schnittwunden. Frau Pottharst liegt zur Zeit im einem Oldenburger Krankenhaus.

Insgesamt nahm die Polizei 21 Personen fest, darunter auch den englischen Vizekonsul, zwei Kurden und eine Türkin. Alle Inhaftierten wurden dem Haftrichter vorgeführt. Der setzte die Hauptverhandlung für den 11. November fest. Danach wurden die meisten Deutschen abgeschoben.

„Wir müssen unbedingt Prozeßbeobachter entsenden“, meint Isgard Lechleitner bei ihrer Ankunft aus der Türkei. Die türkischen Behörden haben sie nur ausgewiesen, um am 11. November allein gegen die kurdischen und türkischen Demonstrationsteilnehmer verhandeln zu können – fürchtet sie. „Die sind dann der Willkür des Gerichtes ausgeliefert.“

Seit fast fünf Jahren engagiert sich Isgard Lechleitner in der Solidaritätsarbeit für Kurdistan. Nach der Verhaftung der damaligen Sprecherin des Bremer Uni-Asta, Nulifer Koc, 1993 in der Türkei, wurde die Oldenburgerin auf das Schicksal der Kurden aufmerksam.

„Nachdem Bundesinnenminister Kanther ausländischen Demonstrationsteilnehmern den Durchzug durch die Bundesrepublik verboten hatte, waren wir für die türkischen Polizeikräfte Freiwild.“Trotz zahlreicher Schikanen war der Konvoi der Busse mit den internationalen Teilnehmern des Friedenszuges bis 100 Kilometer vor Diyarbakir gelangt. Eine internationale Demonstration für den Frieden in Kurdistan und gegen militärische Willkür der türkischen Regierung gegen Kurden wurde von den türkischen Behörden verboten. Vor Diyarbakir – im vorwiegend von Kurden bewohnten Teil der Türkei – wurde die Bus-Kolonne der DemonstrantInnen von Soldaten und Panzern gestoppt und mit Militärbegleitung nach Istanbul zurückgeschickt.

Als sich die internationalen Demonstranten im Istanbuler Hotel „Mim“zu einem abschließenden Gespräch zusammensetzten, wurde das Hotel von Panzern und Polizeikräften umstellt. „Es war wie Krieg“, sagt die 54jährige Lechleitner. Vor dem Hotel stehende Europäer wurden sofort in Gefängniswagen verfrachtet. Anschließend stürmten die Polizeikräfte das Hotel. „Die Frauen wurden besonders brutal von der Polizei angefaßt. Das war schon sexuelle Nötigung. Einer Nachbarin rissen die Polizisten die Bluse auf und quetschten ihr die Brüste“, berichtet die Oldenburgerin.

Auf dem Polizeirevier blieben die bei der Stürmung Verletzten zunächst ohne medizinische Versorgung. Erst durch Vermittlung eines deutschen Konsularbeamten wurde später Ärzten aus der deutschen Delegation erlaubt, die Verletzten zu untersuchen. Anschließend wurden sie in einem Krankenhaus notdürftig versorgt.

„Die Nacht verbrachten wir auf dem Flur des Polizeireviers“, erzählt Isgard Lechleitner. „Es waren nicht einmal ausreichend Stühle für uns da.“Essen und Getränke mußten sich die Inhaftierten über Beziehungen selbst organisieren.

Am nächsten Tag wurden die Verhafteten einzeln vom Staatsanwalt verhört. Anschließend erhob der Haftrichter Anklage wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt und Teilnahme an einer verbotenen Demonstration. Das Hauptverfahren findet am 11. November in der Türkei statt. Ein Teil der Inhaftierten wurde sofort ausgewiesen, die restlichen Demonstranten erreichten Dienstag nacht den Bremer Flughafen. schuh

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