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Amerikanische Karrieren

In den USA profitieren Frauen von einer Regelung, die gar nicht für sie gedacht war – „Affirmative Action“. Jetzt droht der Rückschlag  ■ Von Peter Tautfest

Reizwort oder Glaubenssatz, „Affirmative Action“ ist in Amerika zu einem jener Begriffe geworden, die, inflationär gebraucht, alles und nichts bedeuten, für sich genommen bar jeder Bedeutung, im politischen Zusammenhang aber emotional aufgeladen sind. Frauen haben sich bisher nicht im Zentrum dieses Streits gesehen und sind doch die HauptnutznießerInnen dieses leidenschaftlich umstrittenen Konzepts gewesen.

Die Worte „Affirmative Action“ stammen aus einem Erlaß von Präsident Lyndon B. Johnson aus dem Jahr 1964, genauer: aus einer präsidialen Durchführungsverordnung für das Bürgerrechtsgesetz. Darin werden Empfänger von Bundesmitteln verpflichtet, „aktive Schritte“ zur Herstellung der Gleichberechtigung zu unternehmen. Der Empfängerkreis von Bundesmitteln reicht weit – von Universitäten über Baufirmen bis zu Polizeipräsidien. Es genügt nicht, nicht mehr zu diskriminieren – gegen Minderheiten und gegen Frauen –, man muß beweisen, daß man in der Einstellungs-, Anwerbungs- und Rekrutierungspraxis gezielte Schritte tut, um die Belegschaft zum Spiegel der Gesellschaft zu machen. In der Praxis kann das darauf hinauslaufen, bei gleichen Qualifikationen Angehörige von Minderheiten oder Frauen zu bevorzugen.

Daß Frauen im entscheidenden ArtikelVII des Bürgerrechtsgesetzes überhaupt vorkommen, geht auf eine Sabotagetaktik der Abgeordneten aus den Südstaaten zurück. Die wollten das Gesetz damit zu Fall bringen. Doch just die Frauen haben in den mehr als dreißig Jahren, in denen Affirmative Action Arbeitsmarkt und Einstellungspraxis umkrempelte, am meisten davon profitiert.

Flankiert wird Affirmative Action von einer riesigen Gleichheitsbehörde, die Beschwerden gegen Diskriminierungen bearbeitet („Equal Employment Opportunity Commission“). „Ohne Affirmative Action hätten wir heute weder Busfahrerinnen noch Polizistinnen, weder Feuerwehrfrauen noch Bauarbeiterinnen“, behauptet Nancy Davis, Direktorin der „Anwälte für gleiche Rechte“ einer Anwaltskanzlei in San Francisco. Die Einkommensdifferenz zwischen Frauen und Männern ist durch Affirmative Action beträchtlich geschrumpft: Heute verdienen Frauen 76 Cent für jeden Dollar, den Männer verdienen – gegenüber nur 59 Cent im Jahre 1964.

Die dramatischsten Auswirkungen hatte Affirmative Action auf die sog. small businesses. 1972 gab es im ganzen Land nicht einmal eine halbe Million Kleinbetriebe in Frauenhand, heute sind es 8 Millionen, die 15,5 Millionen Angestellte beschäftigen und 1,4 Trillionen Dollar umsetzen. Aber auch die Chefetagen der großen Konzerne wurden umgekrempelt. 33 Prozent der leitenden Angestellten sind in Amerika heute Frauen.

Was Affirmative Action im Einzelfall bedeutete, war dem Einfallsreichtum derer überlassen, die für Personalpolitik oder Anwerbung verantwortlich waren. Affirmative Action reichte von der Reaktion auf eingegangene Bewerbungen zur offensiven Einholung von Bewerbungen, von der Bevorzugung bestimmter Bewerber bis zu den sogenannten Outreach- Programmen. Für letzteres, das bewußte Rausgehen aus den Institutionen, ist die Universität von Kalifornien ein gutes Beispiel: Sie warb gezielt StudentInnen in schwarzen Ghettos und in den Wohnvierteln der Latino-Bevölkerung an und bot dort vor Ort Schularbeitszirkel und Nachhilfe an, um das Niveau der SchulabgängerInnen zu heben. Ausdrücklich ausgeschlossen aus dem Maßnahmenkatalog waren Quoten für Minoritäten oder Frauen.

Nur wer bei der Auftragsvergabe Affirmative-Action-Programme vorweisen konnte, erhielt den Zuschlag. Ein Teil der Aufträge war für Kleinbetriebe reserviert und darunter wieder ein Teil für Minoritäts- oder Frauenbetriebe. So wichtig diese Gesetze für die ökonomische Förderung von Frauen waren, so bleibt deren Durchführung doch weit hinter den demographischen und wirtschaftlichen Anforderungen zurück. Während 37 Prozent der Betriebe heute Eigentum von Frauen sind, bekommen sie doch nur 2 Prozent der Regierungsaufträge. Doch schon diese bescheidene Förderung hatte gewaltige Auswirkungen – und die mobilisierten den Backlash. Wie nicht anders zu erwarten, kam es in Einzelfällen zu dem, was weiße Männer als umgekehrte Diskriminierung erlebten. In einem Lande, dessen historisches Gedächtnis noch kürzer als seine Geschichte ist, wurde Affirmative Action bald nicht mehr als notwendige Korrektur jahrhundertelanger Benachteiligung, sondern als Manifestation eines neuen Rassismus gesehen. Kaliforniens Wähler verabschiedeten letztes Jahr in einer Volksbefragung den Gesetzeszusatz 209, in dem staatlichen Stellen verboten wurde, bei Einstellung und Auftragsvergabe Hautfarbe oder Geschlecht zu berücksichtigen. Welche Auswirkungen dieses Gesetz haben wird, bleibt abzuwarten, denn Fördermittel, die vom Bund vergeben werden (wozu auch Fördermittel im Ausbildungsbereich gehören), sind nach wie vor an den Erlaß Johnsons aus dem Jahre 1964 gebunden. Doch Kalifornien ist nicht der einzige Staat, der mit Affirmative Action Schluß machen möchte; auch im Kongreß gibt es entsprechende Bestrebungen.

Wieso haben Frauen mit ihren Stimmen bei der Volksbefragung die Ablehnung des Zusatzes 209 nicht verhindert? „Frauen sehen sich nicht unbedingt als einheitlichen Wählerblock“, erklärt Wendy Mink, Politologin an der University of California, Santa Barbara. „Arbeitende Frauen zerfallen heute grob in zwei Kategorien. Da sind einmal jene, die sich bisher Männern vorbehaltene Arbeitsbereiche erobert haben. Für die stehen gleicher Lohn für gleiche Arbeit und Aufstiegschancen auf der Tagesordnung. Um eine Lohnerhöhung für sich durchzusetzen, setzen sie auf gewerkschaftliche Organisierung und nicht auf Affirmative Action. Und dann sind da Angestellte und Akademikerinnen, die ihr Karriereziel erreicht haben und nun vergessen haben oder nicht wahrhaben wollen, daß sie ihre Stellung Affirmative Action verdanken. Vor allem junge Frauen denken heute, daß ihre Stellung ausschließlich auf ihrer Leistung beruht.“ In der Tat ergab eine Umfrage des Gallup-Instituts im Februar, daß 57 Prozent der Frauen Affirmative-Action- Programme für überflüssig halten. Hinzu kommt, daß Affirmative Action für die meisten AmerikanerInnen ein Programm ist, um Schwarze zu fördern. Dazu Wendy Mink: „Den Gegnern ist es gelungen, der Debatte um Affirmative Action einen rassistischen Drall zu geben. Und weiße Frauen sind nicht frei von jenen rassistischen Ressentiments, die die Debatte um Affirmative Action beherrschen.“

Trotz der Fortschritte hat Affirmative Action noch eine wichtige Rolle zu spielen, meint Sharon Parker, Direktorin einer gemeinnützigen Organisation in Atlanta. „Es geht nicht nur um das Einbeziehen von Frauen und Minderheiten, sondern um das, was danach kommt. Ohne Kulturrevolution, ohne Änderung der Strukturen, in denen die Menschen arbeiten, bleibt die Aufnahme von mehr Frauen und Minderheiten in die Arbeitswelt ein bloßes Rearrangieren der Kisten. Kulturelle Umwälzungen aber dauern lange.“

Die Politologin Wendy Mink fürchtet, daß viele der erkämpften Positionen schnell wieder verlorengehen, wenn Affirmative Action nicht mehr zur Auflage gemacht wird. Gerade in jenen akademischen Bereichen, die wie die Naturwissenschaften traditionell Männern vorbehalten sind, werden es Frauen wieder schwerer haben. Auch in der Wirtschaft werden Männer geräumte Positionen wieder zu besetzen versuchen.

Doch auf dem Markt gelten nicht die vom Wähler verabschiedeten, sondern ganz andere Gesetze. Im privatwirtschaftlichen Sektor haben Betriebe nämlich erkannt, daß es für sie und für ihr Verhältnis zu einer vielfältigen Kundschaft von Vorteil ist, eine vielgesichtige Belegschaft zu haben. Bei der Finanzkraft, die Frauen als Konsumentinnen und Produzentinnen haben, rechnet es sich, Mitarbeiterinnen einzustellen, um gezielt weibliches Geld zu erschließen.

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