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Salz soll wieder für Reichtum sorgen

■ In Tuzla hat die multiethnische Stadtregierung beste Chancen, die Wahlen zu gewinnen. Serben kehren gegen Karadžić' Willen zurück

Wer ins Zentrum der ostbosnischen Stadt Tuzla fährt, kommt vorbei an den dampfenden Türmen eines Kohlekraftwerks, an den weitläufigen Anlagen der Chemiefabrik Sodaso. Tuzla, das ist eine moderne Industriestadt, die zwar unter dem Krieg gelitten hat, deren Industrie jedoch voll funktionsfähig geblieben ist.

Das aus dem Türkischen stammende Wort Tuz bedeutet Salz. Das Salz war es, das der Region bereits in der osmanischen Zeit seine Bedeutung gab. Und noch in den 60er Jahren bildeten die Salz- und Kohlevorkommen die Grundlage für die Ansiedlung vieler Industriebetriebe im sozialistischen Jugoslawien. Daß eine kleine und türkisch anmutende Altstadt von einem Ring von Hochhäusern umgeben ist, spiegelt die Geschichte der jüngsten Zeit. Aus 25.000 Einwohnern 1950 wurden über 100.000 in den 70ern. Hierher kamen Arbeiterfamilien aus dem gesamten Jugoslawien und vermischten sich mit der muslimischen Bevölkerung. Ingenieure und Arbeiter waren stolz auf das, was hier geleistet wurde, die Menschen verdienten überdurchschnittlich.

Hier war der Sozialismus vor dem Zerfall Jugoslawiens keineswegs diskreditiert. Für Wirtschaftsreformen war man wohl, für eine Weiterentwicklung des Systems, mehr Marktwirtschaft und die Öffnung gegenüber dem Westen. Doch von einem Umsturz der Verhältnisse wollte in Tuzla kaum jemand etwas wissen.

Und so wurden 1990 Reformpolitiker in den Stadtrat gewählt. Die Sozialistische SDP, die Nachfolgepartei des Kommunistischen Bundes, und die Reformpartei des Ante Marković, der an seinem Traum von einem vereinten Jugoslawien festhielt, verfügten zusammen über 60 Prozent der Sitze. Bürgermeister Selim Beslagić verteidigte Tuzla nicht nur gegen die Aggression der Großserben. Zugleich kämpfte er gegen alle Versuche der muslimischen Nationalpartei SDA, die Macht in Tuzla zu übernehmen. In diesem Jahr wurde Beslagić für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.

Die Stadt hat bis heute ihren multikulturellen Charakter bewahrt. Viele serbische Bewohner sind zum Ärger von Radovan Karadžić in der Stadt geblieben oder kürzlich zurückgekommen. Ihr Anteil an der Bevölkerung dürfte bei zehn Prozent liegen. Immer wieder wurden sie von der örtlichen Polizei vor Übergriffen nationalistischer Muslime geschützt. Dabei ist die Lage in der Stadt alles andere als entspannt. Rund 50.000 Flüchtlinge leben heute hier.

Mit den Wahlen steht in Tuzla auch ein politisches Gesamtkonzept zur Wahl. Die „Gemeinsame Liste“, zu der die Sozialdemokratische Union Beslagić' und kleinere, ebenfalls nicht nationalistische Parteien gehören, peilt mit der SDP eine Koalition an. Doch selbst ihre Gegner sind gemäßigt: die regionale SDA gehört zum liberalen Flügel der Gesamtpartei. Alle politischen Kräfte wollen endlich die Industrie in Gang setzen. Dazu gehört, daß die Straßen- und Eisenbahnverbindungen, die durch serbische Gebiete führen, wieder funktionieren.

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