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Nackter Arsch

Für Basketballprofi Dennis Rodman sind Sportler „langweilig wie Büchsenfleisch“. Er sieht sich als „Entertainer“. Der Grund seines Erfolgs: Langeweile ist tödlich, sein Exhibitionismus ehrlich. 13jährige lieben sein neues Buch  ■ Von Thomas Winkler

Erinnert sich noch jemand, daß Magic Johnson mit seinen All-Stars vor vier Jahren durch die Republik tingelte? Daß Detlef Schrempf hier zur Vorbereitung weilte? Waren die beiden bei Harald Schmidt? Dennis Rodman war letzte Woche schon zum zweiten Mal im Kölner Capitol. Und erneut hatte er etwas Hübsches an.

Der Basketballprofi Dennis Rodman mag die National Basketball Association nicht. Sagt er. Und die NBA mag Rodman nicht. Sie brummt ihm Strafen auf. Ihren Boß, David Stern, würde Rodman gerne fesseln, ausziehen und über und über mit Lippenstift anmalen. Schreibt er. In seinem neuen Buch, das „Walk On The Wild Side“ heißt und gerade erschienen ist.

In diesem, Rodmans zweitem Buch, erfährt man nichts über Basketball. Es ist weder gut geschrieben noch genial übersetzt. Man liest aber dann doch des öfteren ein paar richtige Dinge. „Sportler sind langweilig wie Büchsenfleisch“ zum Beispiel. Weil das stimmt, braucht das Produkt NBA das Produkt Dennis Rodman, so wie der die NBA braucht. Letzte Woche in Berlin sagte er: „Sie brauchen Leute wie mich, um das Spiel auf einem gewissen Niveau zu halten. Wenn alle nur noch Lollis lutschen, wäre es etwas langweilig.“

Andererseits: Wäre Rodman nur ein Spinner, der in Frauenklamotten durch den Central Park läuft, wäre er halt nur ein Spinner. Vielleicht nicht ganz so langweilig wie Büchsenfleisch, aber ohne Bühne. Und ganz bestimmt nicht mit Madonna im Bett gelandet.

Es gibt diese alte Trainerweisheit in Amerika: „Offense wins games, defense wins championships.“ Genau so ist Rodman zweimal mit den Detroit Pistons NBA- Meister geworden. Er hat nie viele Punkte gemacht. Aber er ist einer der wenigen, die „ohne zu punkten ein Spiel dominieren können“, wie Brendan Malone gesagt hat, der Coach der Toronto Raptors. Rodman war der beste Verteidiger und der Top-Rebounder jener für ihre harte Defense berüchtigten Pistons. Die Aufmerksamkeit bekamen andere. Also beschloß er, „mal was anderes zu machen“. Seitdem rebounded er mit „ein bißchen Flair, einem kleinen Extra“.

Er streckt die Beine raus, landet nach dem Fallen des Balles wie eine Spinne, wiegt den Ball wie ein Baby. In so einem Moment ist Rebounden nicht mehr die harte Arbeit, die es ist, das Schieben, Einklemmen, Zerren und Kratzen unter dem Korb, das brutalste und widerlichste Geschäft, dem man auf einem Basketballfeld nachgehen kann. In diesem Moment wird Rebounden, wenn schon nicht zur Kunst, so doch zumindest zum glamourösen Akt.

„Ich bin schon lange kein Sportler mehr“, hat Rodman schon vor zweieinhalb Jahren verkündet, „ich bin ein Entertainer.“ Er ist nicht der einzige in der NBA, der sich so sieht. Aber der einzige, der sich traut, das so zu sagen. Und er hat so nebenbei das Credo der NBA auf einen Nenner gebracht.

Man stelle sich vor, Staubsauger Dieter Eilts würde sich die Ostfriesenlocken färben, Details aus seiner Affäre mit Marianne Rosenberg enthüllen und verraten, daß er davon träumt, Egidius Braun mit Weihwasser zu bepinkeln. Doch Rodman ist schon lange kein Parasit mehr und die NBA sein Wirt, so wie das NBA-Boß Stern gerne sehen möchte. Das Verhältnis ist längst ein einziger großer Synergieeffekt.

In den 80ern haben die Lakers nicht einfach Basketball gespielt: In Los Angeles war „Showtime“. Damals legten Magic Johnson, Kareem Abdul-Jabbar und James Worthy den Grundstock für den weltweiten Erfolg des Showprodukts NBA. Rodman haben sie, kurze Zeit nachdem er seinen Entertainer-Satz gesagt hat, bei den San Antonio Spurs rausgeworfen. Er kam nicht oder zu spät zum Training. Man kann es auch einfach so sagen: Verkannt ist er damals worden. Das sagt er selbst. Bei den Chicago Bulls trat er den Beweis an. Coach Phil Jackson ist ein Althippie, der ihm Freiheiten ließ. Rodman lieferte dafür die Leistung, die von ihm erwartet wurde. Mit ihm, der stockkonservativen Punktemaschine Michael Jordan und dem eleganten Allrounder Scottie Pippen wurden die Bulls nicht nur zweimal Meister und brachen alle Rekorde: Sie wurden zum fahrenden Zirkus und bei fast jedem Auswärtsspiel mehr bejubelt als die Heimmannschaft.

In den zwei Jahren bei den Bulls hat man sehen können, daß Rodman nicht etwa Amok läuft, sondern exakt das tut, was ihm nützt. Er will, er braucht Aufmerksamkeit. NBA-Titel bringen Aufmerksamkeit. Manchmal bringt es noch mehr Aufmerksamkeit, für einen Zocker-Trip nach Las Vegas eine Übungsstunde ausfallen zu lassen. Jedenfalls, wenn es am nächsten Tag in der Zeitung steht. „Die einzige schlechte Publicity ist ein Nachruf“, steht im neuen Buch.

Ungefähr eine Million Exemplare wurden vom Erstling „Bad As I Wanna Be“ verkauft. Die Lektorin des Deutschen Taschenbuch Verlags hat nicht ohne Stolz ausgerechnet, daß 10 Prozent davon auf die Kappe der deutschen Ausgabe gehen. Das sind für ein Sportbuch unglaubliche Zahlen hierzulande. Ob Rodmans Werke Sportbücher sind, ist eine andere Frage.

Zwei Tage in Deutschland, eine Tingeltour. Pressekonferenz, Talkshow, Pressekonferenz, Signierstunde, Tip-off bei einem Benefizspiel, Slam-dunk-Contest vor einem Foot Locker Store, Flieger. Wenn Rodman in Deutschland ist, muß er nicht um die Aufmerksamkeit der Medien heischen. Er kann ein schlabbriges Batik-Shirt anhaben und eine Kappe über seine Haare ziehen.

Keine Skandale, Dennis Rodman beantwortet ruhig und überlegen die dämlichsten Fragen. „Space Jam“ hat er sich noch nicht angesehen, schließlich „sehe ich Michael jeden Tag“. Das Buch hat er „wegen des Geldes“ geschrieben. Ansonsten sagt er oft Sachen wie „I don't think so“ oder „I don't know“. Hinter ihm ist auf Pappkarton sein nackter Arsch zu sehen. Er sei schon immer so gewesen, sagt Rodman, er habe nur Jahre gebraucht, es rauszulassen. Inzwischen, mit 36, sei er endlich er selbst. Das sagt auch Dwight Manley. Der ist ein gutmütig dreinblickender junger Mensch mit Nickelbrille, der früher seinen Lebensunterhalt mit dem An- und Verkauf seltener Münzen verdiente.

Manley wird Manager geheißen, manche nennen ihn auch Aufpasser. Manley sagt, er hat Rodman geholfen, dieses Rauslassen in lukrative Kanäle zu leiten. Das Erfolgsrezept ist simpel: Manley hat den Exhibitionismus seines Klienten erklärt zur Authentizität, die in diesen Zeiten eh ausgedient hat.

Rodman schlüpft zwar in Rollen, als Biker in Leder, im S/M- Dress auf dem Cover von Sports Illustrated, sich fast prügelnd mit einem gegnerischen Forward. Hinter diesen Rollen versteckt sich aber nicht etwa ein wie auch immer aussehender echter Rodman, diese Rollen sind der echte Rodman. Ein wandelndes Gesamtkunstwerk sozusagen, das während seiner Freizeit in Kraft- und Video-Räumen hart daran arbeitet, der beste Rebounder der 90er Jahre zu sein.

Im Berliner KaDeWe hat er Bücher signiert. Es waren wenige von den normalen NBA-Fans da, keine Trikots mit Jordans notorischer Nr. 23 zu sehen. Statt dessen auffällig viele Mädchen. Man sah: Er signierte sein Buch für Dreizehnjährige. Ein Buch, in dem das Wort ficken öfter vorkommt als in einem Dolly-Buster-Film und in dem er sich als Werbeträger für die Erektionshilfe „Bürstenhart“ anbietet.

Früher hätte man vielleicht gesagt: Dennis Rodman hat Herzen erobert. Heute muß man sagen: Er hat ein paar Bücher mehr verkauft, ein paar Schuhe und ein wenig Geld gesammelt für einen guten Zweck. Und: Er hat den Bekanntheitsgrad der NBA gesteigert.

Dennis Rodman mit David Silver: „Walk on the Wild Side“. Deutsch von Sky Nonhoff. dtv premium. 1997, 312 Seiten, 28 DM.

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