„Der Begriff Reform hat sich ein wenig abgenutzt“

■ Ernst Schwanhold, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, über die Thesen Gerhard Schröders und die Übereinstimmung mit dem Kurs der Koalition

taz: FDP-Politiker wie Otto Graf Lambsdorff loben die Schröderschen Wirtschaftsthesen. Lob von der falschen Seite?

Ernst Schwanhold: Grundsätzlich schließe ich mich diesem Lob an, auch wenn unser Leitantrag an der einen oder anderen Stelle vielleicht noch der Präzisierung bedarf – so etwa bei den Punkten produktintegrierter Umweltschutz oder Technologietransfer für den Mittelstand. Vielleicht hat Lambsdorff nicht genau gelesen.

Wäre ein solch wirtschaftsliberaler Leitantrag vor fünf Jahren in der SPD möglich gewesen?

Das glaube ich nicht, dafür war damals die Zeit nicht reif, aber auch die Problemlage nicht drängend genug. Aber schon auf dem Mannheimer Parteitag haben wir dann einen wirtschaftspolitischen Leitantrag beschlossen, der in der Arbeitsmarktpolitik und im Arbeitsrecht Flexibilität einforderte und etwa auch für die Hochschulen und die Ausbildung mehr Flexibilität und Wettbewerb.

Es gibt in der Wirtschaftspolitik eine zunehmende Konvergenz zwischen der SPD und der Koalition.

In bestimmten Bereichen gibt es übereinstimmende Analysen und Lösungsansätze. Differenzen gibt es aber etwa bei der Rolle des Umweltschutzes und der Bedeutung der sozialen Sicherungssysteme. Ebenso beim Produktivlohn, bei der Beteiligung der Beschäftigten am Produktivvermögen.

Was die SPD zu den sozialen Sicherungssystemen sagt, würde Herr Blüm, alles was die SPD zum Umweltschutz sagt, würde Frau Merkel unterschreiben.

Ja, aber Sie kennen doch die geringe Durchsetzungsfähigkeit etwa von Merkel innerhalb der Union. Die reale Umweltpolitik der Bonner Koalition sieht dann immer anders aus. Da gilt Umweltschutz nur als Hemmnis und nicht als Instrument der Innovation. Gleiches gilt für die Sozialpolitik.

In dem Leitantrag fehlen wichtige bisherige SPD-Forderungen. Man vermißt etwa die Forderung nach weiterer Verkürzung der Wochenarbeitszeit, die ja auch Lafontaine kürzlich noch erhoben hat.

Der Parteivorsitzende hat auf einem Kongreß in Berlin die Forderung von IGM-Chef Zwickel nach weiterer Verkürzung der Wochenarbeitszeit unterstützt. Ich persönlich bin dafür, daß die Arbeitszeit durch intelligente Lösungen verkürzt wird: durch Ausweitung der Altersteilzeit, durch Fortbildungsphasen, durch mehr Teilzeitarbeit.

Es fehlt in dem Antrag auch die Forderung nach einer Ausbildungsplatzabgabe, um den Ausbildungsplatzmangel zu bekämpfen.

Zur Ausbildungsplatzabgabe gibt es einen Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion. Ich sehe allerdings keine Möglichkeit, durch eine Abgabe zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen.

Konjunkturprogramme, etwa spezielle Programme des Staates zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, sind, anders als etwa in Frankreich, in der neuen SPD-Wirtschaftspolitik auch nicht mehr vorgesehen.

Breite Investitionsprogramme, breite Nachfrageprogramme bringen nicht die gewünschten Arbeitsplatzeffekte. Dennoch muß der Staat natürlich Schwerpunkte setzen durch Investitionen in Infrastruktur und Forschung und Entwicklung. Auch die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ist ein Bereich, in dem der Staat Schwerpunkte setzen muß. Das hat aber nichts mit Nachfrageprogrammem, sondern mit der finanziellen Förderung des Berufseinstiegs zu tun. Der Hinweis auf solche Programme gegen die Jugendarbeitslosigkeit mag in dem Leitantrag etwas versteckt sein. Die Stärkung des Binnenmarktes wird ausdrücklich im Programm gefordert.

Das Wort Reform sucht man vergeblich, es ist nur noch von Innovation oder Erneuerung die Rede. Ist die SPD reformmüde?

Diese Müdigkeit kann ich nicht erkennen. Der Begriff Reform hat sich ein wenig abgenutzt, deswegen wird er vermieden, auch wenn dieser Leitantrag eigentlich ein gewaltiges Reformprojekt beinhaltet. Interview: Jürgen Voges