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Im Erdental der Kümmernis

■ Bis ins Finsterste matt: Sling Blade von Billy Bob Thornton erweist sich als bibelfeste Geschichte von Schuld und Sühne

Karl Childers ist die alttestamentarische Antwort auf Forrest Gump: der weise Idiot als die rechte Hand Gottes. Diesmal tritt er auf der dunklen Seite des Altars in Erscheinung, dort, wo es mit Sling Blade, dem ersten abendfüllenden und in der Sparte „Bestes adaptiertes Drehbuch“bereits oskarprämierten Spielfilm Billy Bob Thorntons, um Sünde, Gerechtigkeit und um die Rache des Herrn geht.

25 Jahre hat Karl in einer Irrenanstalt eingesessen. Als kleiner Junge hatte er seine Mutter und ihren Liebhaber beim Sex erwischt und, verwirrt über „das Böse“der Situation, mit einer Sense für Ruhe gesorgt. Der Film, in dem Thornton neben der Regie auch die beeindruckende Hauptrolle liefert, trifft Karl, hinter dick verschmierten Fensterscheiben, am Tag seiner Entlassung und noch während er von einem redseligen Psychopathen mit schmutzigen Details belästigt wird. Alles und jedes ist eine Prüfung, auch der einsame Weg nach draußen.

Vom schnarrenden Schicksal geleitet, tappst Karl durch's Bild. Er, der so spricht, als müsse immer ein gewisser Abstand zwischen ihm und den Wörtern bleiben. Außer mit liebenswürdigem Gleichmut ist er nur mit ein paar Büchern bestückt, eines davon handelt von Weihnachten. Mehr braucht er nicht. Und überhaupt findet sich – den Seinen gibt's der Herr im Schlaf – der Rest von allein: ein Job (nichts fällt dem Werkzeug Gottes leichter, als defekte Motoren zu reparieren), eine Mahlzeit (sehenswert Jim Jarmusch als fritierend gebückter Imbißverkäufer) und, was das wichtigste ist, einen Freund und eine irdische Bestimmung.

Als Karl dem kleinen Frank (Lucas Black) begegnet, erreicht die Reise ins Erdental ihren innersten Kreis der Bewährung. Karl muß miterleben, wie Frank und seine Mutter Linda (Natalie Canerday) als Gefangene des tyrannischen Doyle (Dwight Yoakam) ihr Dasein fristen. Mal ist es das Essen, mal eine falsch betonte Silbe, mit diesem fiesesten Vertreter männlicher Gewaltbereitschaft verdorrt die winzigste der Freuden zu Staub und Asche.

Gräulich, violettstichig und bis ins Finstere matt: Vor allem sind es die pessimistischen und penibel ausgesteuerten Farb- und Symbolwerte, welche die wuchtige Geschichte um Schuld und Sühne vor der Sentimentalität bewahren. „You will be happy“, schreibt Karl seinem Schützling, als der Entschluß zur rettenden Aktion feststeht. Das fahle Papier aber dämpft das Glücksversprechen, verschiebt es wie die Schrift in einem Schulheft oder das Linoleum eines muffigen Korridors auf lange Zeit nach vorn.

An seinen dunkelsten Stellen findet Sling Blade ein Gefühl jenseits der Anstandsgrenzen: im Kerker der Familie den Haß auf den gewaltsamen Vater. Allerdings nur – und das zum Bild der gerechten Strafe – mit der Axt in der Hand und einem sehr viel größeren Vater im Rücken.

Elisabeth Wagner

Abaton

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