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„Der Schröder ist nicht so hart“

■ Michael Müller, umweltpolitischer Sprecher der SPD, glaubt, daß das Wirtschaftsprogramm der Partei noch zu verändern ist

taz: Guten Tag, Herr Müller. Dreimal dürfen Sie raten, worum es geht?

Michael Müller: Um unser junges, aufstrebendes Talent aus Niedersachsen?

Richtig, um Gerhard Schröder. Ihre Formulierung klingt ein wenig spöttisch...

Wer Gerd kennt, weiß, wie ehrgeizig er ist. Wichtiger als theoretische Debatten ist ihm, Strömungen richtig zu erfassen. Ich frage mich allerdings, ob das reicht.

Ihnen offenbar nicht. Schröders Thesen sind in ein Wirtschaftskonzept der SPD eingeflossen, von dem Sie sagen, es wäre ergänzungs- und differenzierungswürdig. Inwiefern?

Es reflektiert in keiner Weise die Wachstumsdebatte. Das Wachstum stellt in dramatischer Weise Herausforderungen an die Politik. Es müssen Grenzen gesetzt werden. Man hat ja gesehen, daß das Wachstumsmodell nicht unbedingt Zuwachs an Arbeitsplätzen bringt. Um so mehr müssen die Gefahren für die Umwelt berücksichtigt werden. Das gilt auch für die Sozialsysteme.

Andererseits haben wir über vier Millionen Arbeitslose. Schröder trifft mit seiner Wachstumsgläubigkeit die Wünsche der SPD- Wähler besser als Sie.

Politik darf nicht alle Strömungen mitmachen, sondern muß gestalten. Die Ruck-Zuck-Philosophie von Herzog bis zum letzten Stammtischpolitiker ist falsch. Es macht doch keinen Sinn, die Rezepte, die uns in die Krise geführt haben, sogar noch schneller weiterzuverfolgen. Gerade in der Krise muß Politik moralische Berechenbarkeit beweisen.

Entfernt sich die SPD von den Grünen und nähert sich statt dessen der CDU an?

Das ist schwer zu beurteilen. Eine Große Koalition sehe ich jedenfalls in der SPD nicht als mehrheitsfähig an. Für Schröder ist die harte Abgrenzung durch traditionalistische Positionen offenbar eine Schlußfolgerung aus dem problembeladenen rot-grünen Bündnis in Nordrhein-Westfalen.

Das hört sich alles nach Machtspielchen an.

Schröder vergißt, daß moralische Politik die Menschen begeistern kann.

Gilt das auch für Lafontaine?

Der hat eher solche Gedanken. Er muß aber bedenken, daß in der SPD die Grundströmung herrscht: Nach 15 Jahren Kohl muß endlich der Wechsel kommen. Weitere vier Jahre halten die SPD und unser Land nicht aus.

Hat Lafontaine gegenüber Schröder schon kapituliert?

Ich hoffe, er begreift, daß mit ihm ein Reformbündnis nötig wird.

Die SPD-Linke hat angekündigt, sie werde Druck machen, damit der Beschluß zum Wirtschaftskonzept eine eindeutig sozialdemokratische Handschrift bekommt. Wie soll das aussehen?

Es werden sehr viele Anträge gestellt. Ich werde einen zur Umweltpolitik vorlegen. Ich begreife nicht, daß die SPD nicht auf die Nachhaltigkeitsdebatte der großen Sozialdemokraten Willy Brandt, Olof Palme und Gro Harlem Brundtland setzt. Laut Emnid wird der SPD die größte Kompetenz im Umweltbereich zugesprochen, noch vor den Grünen. Sie wäre bekloppt, wenn sie mit diesem Pfund nicht wucherte. Aber noch ist nichts entschieden.

Ist der Leitantrag für Sie unakzeptabel? Immerhin ist ja von einer ökologischen Steuerreform die Rede.

Natürlich hat sich der zeitliche Zusammenhang mit den zwölf Thesen von Schröder negativ ausgewirkt. Dadurch wurde der Eindruck erweckt, es gehe vor allem um unbeschränktes Wachstum und Einschränkungen im sozialen Bereich. Letztlich ist die beschlossene Vorlage differenzierter. Trotzdem ist sie kein Schritt nach vorn.

Was wäre ein wirklich großer Schritt?

Ein mutiges Programm für Arbeit und Umwelt. Es ist zu kurz gedacht, daß es mit der Selbstverpflichtung der Wirtschaft, von der auch Schröder gerne spricht, getan wäre. Eine Reduzierung der Kohlendioxid-Emissionen um 25 Prozent läßt sich nicht durch Selbstverpflichtung erreichen.

Glauben Sie tatsächlich, daß der gefeierte Wirtschaftsmann Schröder noch einknickt?

Schröder wird mehr mittragen, als mancher erwartet. Der ist nicht so hart, wie es den Eindruck macht. Interview: Markus Franz

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