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Rauchzeichen aus Kiel vom Winde verweht

■ Das Schleswig-Holsteiner Modellprojekt „Cannabis in Apotheken“ ist gescheitert

Woran erkennt man Menschen, die Haschisch rauchen? Ganz einfach: „Bei halb vorgeneigtem Körper, halbgeöffneten, ironisch oder hämisch blickenden Augen, mit fratzenschneidendem Gesicht, schief auf der Seite und nach vorn sitzendem Hut zeigen sie ein anmaßend arrogantes Auftreten unter ruckweisen, hampelmannartigen Bewegungen der Glieder mit etwas eingebogenen Knien und watschelndem Gang.“

Nach dieser Definition müßten etwa drei bis vier Millionen Deutsche watscheln und hämisch grinsen. Die Beschreibung des typischen Haschrauchers stammt von US-Wissenschaftler M. Stringaris aus dem Jahre 1939. Sie illustriert sehr schön die angstbesetzten Drogenmythen, die seit Jahrzehnten die öffentliche Debatte um Cannabis beeinflussen.

Wie irrational das Thema auch heute noch behandelt wird, hat zuletzt der Streit um das Modellvorhaben Schleswig-Holsteins: „Cannabis in Apotheken“, gezeigt. Peter Raschke, wissenschaftlicher Vater des Projekts, und der Hamburger Suchtforscher Jens Kalke haben das Kieler Modell jetzt in einem Buch ausführlich vorgestellt und den Stand der Cannabisforschung und -politik resümiert. Die Veröffentlichung ermöglicht es, die Kieler Pläne in allen Einzelheiten und mit den wichtigsten vorgebrachten Einwänden nachzuvollziehen.

Sein wichtigster Mangel: Es kommt zu spät. Erst jetzt, nachdem die Schlacht geschlagen und verloren wurde, wird die Apothekenlösung so richtig transparent gemacht. Allen Anstrengungen der Kieler Ministerin zum Trotz: Eine ehrliche und genaue Darstellung dessen, was da in schleswig-holsteinischen Apotheken eigentlich passieren sollte, hat es in den Medien nur in Ausnahmefällen gegeben. Der wissenschaftliche Charakter dieses kleinen, räumlich und zeitlich scharf begrenzten Vorhabens ist nie bis an die Stammtische vorgedrungen. Deshalb konnte es denunziert und als „bekiffte Idee“ verhöhnt werden.

Das Scheitern des Modellversuchs zementiert den Status quo. Es gibt keine andere Drogenpolitik, weil keine empirischen Daten vorliegen, die eine politische Wende fordern und begründen könnten. Es gibt keine empirischen Daten, weil die gegenwärtige Drogenpolitik jeden wissenschaftlichen Anlauf blockiert. Wie der Joint auf der Party dreht sich die Debatte im Kreis. Ohne klare wissenschaftliche Vorgaben darf aber jeder behaupten, was er will – ein idealer Zustand für die Politik. So werden Haschisch und Marihuana also weiterhin gemäß der Eskalationsthese als „Einstiegsdroge“ behandelt, gerade so, als gäbe es die fast naturgesetzliche Drogensequenz vom Cannabis zum Heroin.

Daß in Dänemark, dem europäischen Spitzenreiter im Cannabisverbrauch, die Heroinzahlen nur durchschnittlich sind, wird kaum zur Kenntnis genommen. Der Berührungspunkt für beide Drogen ist der Dealer, der in manchen Fällen tatsächlich beides im Angebot hat. Und genau diesen Mißstand hatte das Kieler Modellprojekt im Auge. Es wollte versuchsweise den Markt für harte und weiche Drogen trennen und auf diese Weise Heroinprävention leisten. Ob der Kieler Versuch der gegenwärtigen prohibitiven Drogenpolitik tatsächlich gefährlich geworden wäre, ist indessen gar nicht so sicher. Er war nämlich so angelegt, daß man ihn bei einer deutlichen Zunahme des Cannabisverbrauchs gegenüber dem durch Umfragen zuvor ermittelten Konsumniveau in Schleswig-Holstein hätte abbrechen müssen. Ein vorübergehender Anstieg wäre aber gar nicht so abwegig gewesen. Die Angst vor dem immer wieder heraufbeschworenen Dammbruch, vor Zuständen, die dem Zigaretten- und Bierkonsum ähneln, war dagegen völlig unbegründet.

Andererseits war das Apothekenmodell überreglementiert, was seiner Akzeptanz sicher nicht gut bekommen wäre. So sollten die Konsumenten allen Ernstes eine Teilnehmerkarte – immerhin: ohne Lichtbild – lösen, die sie dann zu Hause vor den Eltern hätten verstecken müssen. Außerdem sollte der Apothekenpreis geringfügig über dem Schwarzmarktpreis liegen, die Abgabemenge auf fünf Gramm beschränkt bleiben. Beides hätte regelmäßige Raucher eher abgeschreckt.

Neben den Details zum Kieler Modell liefert das Buch eine Zusammenfassung des wissenschaftlichen Forschungsstands. Der ideologische Ballast, der wie Mehltau über dem Thema liegt, wird auch hier deutlich, die Forschung ist noch lange nicht bei einer vorurteilsfreien Betrachtung angekommen. Kann Cannabis Psychosen auslösen, gibt es das Phänomen des plötzlichen Nachrausches, reduziert Cannabis bei Dauerkonsumenten die Anzahl der Spermien? Die Autoren weisen zwar die meisten dieser Behauptungen ins Anekdotische, doch die Vorurteile halten sich hartnäckig.

Die Flashback-Theorie ist noch heute Bestandteil der Rechtsprechung. Mit dem Hinweis auf den jederzeit möglichen Nachrausch werden Cannabisrauchern die Führerscheine entzogen – selbst dann, wenn sie zu keinem Zeitpunkt bekifft gefahren sind. Interessant sind die geschilderten niederländischen Erfahrungen mit dem Coffee-Shop-Modell. Raschke und Kalke kritisieren die halbherzige Praxis, zwar den Verkauf in den Coffee-Shops zu tolerieren, die gesamte Produktion und den Vertrieb aber weiter zu kriminalisieren. Damit bleibe dieser Zweig in der Hand organisierter Verbrecher. Und damit sind im Anbau- und Handelssektor die Märkte für harte und weiche Drogen weiter eng verwoben. Als direkte Konsequenz sickern harte Drogen auch in die Coffee-Shops. Manfred Kriener

Peter Raschke, Jens Kalke: „Cannabis in Apotheken“, Lambertus- Verlag Freiburg, 143 S., 19 DM

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