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Ein Kampf um Ehe, Erbe und Ehre

■ „Die Tochter des Bürgermeisters“, Steven Ozments historische Studie über die Rebellion einer jungen Frau im 16. Jahrhundert, ist so spannend wie ein Roman

„Und ich bitt Dich freundlich, nicht wieder die Wallfahrt zu Sankt Erasmus zu machen, weil ich sonst nicht im Frieden mit Dir sein kann“, wendet sich ihr Geliebter, der Söldner Daniel Treutwein, an Anna Büschler, daß sie ihn nicht weiterhin mit ihrem zweiten Geliebten, dem Schenk Erasmus von Limpurg, betrügen möge.

Es ist 1523, Anna Büschler fünfundzwanzig Jahre alt, unverheiratet und eine anerkannte Schönheit von extravagantem Auftreten. Noch lebt sie bei ihrem Vater, einem durch Wein- und Immobilienhandel reich gewordenen Ratsherrn, der mehrmals Bürgermeister der freien Reichsstadt Schwäbisch Hall war. Sie bestiehlt und hintergeht ihn mit ihren heimlichen Liebschaften. Als er dahinterkommt und sie aus seinem Haus wirft, verklagt sie ihn vor Gericht auf die Zahlung von Unterhalt.

Der Kampf gegen ihren Vater und später gegen ihre Geschwister wird sie den Rest ihres Lebens beschäftigen. Sie wird ihn nicht gewinnen, aber sie hält ihn durch. Nur deshalb ist ihre Geschichte in ihren und ihrer Liebhaber Briefe, in einer beträchtlichen Anzahl von Gerichtsakten und in über tausend Manuskriptseiten von Zeugenaussagen bestens dokumentiert.

Anna Büschler war zweifellos eine bemerkenswerte Frau, die dennoch unbemerkt blieb. Jedenfalls in der späteren Geschichtsschreibung, aus den uns bestens bekannten Gründen. Als der Schriftsteller Leonhard Frank 1922 einen Roman über ihren Vater und die Stadt Schwäbisch Hall schrieb, mit der sie ebenfalls im Streit lag, diente ihm ihre völlig verfälschte Geschichte allein dazu, Hermann Büschler nicht nur als heroischen Politiker, sondern auch als heroischen Vater darzustellen. Das aber war er keineswegs, wie der Harvard-Historiker Steven Ozment in seiner Biographie über „Die Tochter des Bürgermeisters“ darlegt. „Die Rebellion einer jungen Frau im deutschen Mittelalter“, wie Ozments – sich schon aufgrund der Fakten zwangsläufig romanhaft entwickelnde – historiographische Quellenstudie im Untertitel lautet, hatte durchaus ihre moralische wie juristische Berechtigung.

Immerhin wollten ihr Vater und ihre Geschwister sie um ihren Erbteil bringen. Es ging nicht nur um Verrat auf der einen, sondern auch um Habgier und Betrug auf der anderen Seite. Denn eine Frau über fünfundzwanzig konnte, wie es das geltende Recht des Schwabenspiegels aus dem 13. Jahrhundert formulierte, ihre „Ehre“ verlieren, nicht mehr aber ihr Erbe. Hatte der Vater es versäumt, bis zu diesem Zeitpunkt eine standesgemäße Ehe für sie zu arrangieren, dann führte man den unmoralischen Lebenswandel der Tochter auf seine Pflichtvergessenheit zurück sowie auf ihre legitimen sexuellen Bedürfnisse. Nicht nur der Haß ihres Vaters, sondern daß Anna Büschler ein auswärtiges Reichsgericht und nicht den Rat der Stadt Hall für ihren Fall bemühte, ließ ihre Chancen schwinden. Damit wurde die Stadt mit ihren Honoratioren schließlich zu dem Feind, den sie von vornherein in ihr sah.

Die Prozeßserie von 1525 bis 1555 beschäftigte die Bürger der Stadt und führte schließlich dazu, die Autoritäten und die althergebrachten Sitten mit kritischem Blick zu sehen. Darin liegt für Steven Ozment die weiterreichende Bedeutung der Prozesse der Anna Büschler. Sie selbst scheint schon immer selbstbewußt gewesen zu sein, holte sich sachkundigen juristischen Rat und stellte dabei unter Beweis, daß auch eine sogenannte „lasterhafte“ Frau sich gegen gesetzwidriges Verhalten von seiten einflußreicher Persönlichkeiten zur Wehr setzen und das öffentliche Interesse erregen konnte.

Das war wagemutig. Immerhin war es nicht nur die Zeit der Renaissance und der beginnenden Reformation, eine Zeit also, die wechselnde Koalitionen und damit die Chancen einer durchsetzungsfähigen Persönlichkeit begünstigte, sondern auch die Zeit der Hexenprozesse. Im Kampf um ihre individuellen Rechte, in dem sie sich nach Ozment „möglicherweise heroischer geschlagen“ hat als ihr Vater für die Unabhängigkeit der bürgerlichen Stadt Hall oder der Schenk von Limpurg für die Reformation, erscheint die Tochter des Bürgermeisters jedenfalls als das, was bei Männern als Renaissance-Persönlichkeit gerühmt wird.

Da Steven Ozment vor allem Historiker und weniger Erzähler ist, bleiben entscheidende Stationen ihres Lebens, die in den Quellen nicht geschildert sind, leider unberührt. Mit größerer Lust des Autors an der Vorstellungskraft wäre jenseits der konkret belegten Situation der Anna Büschler, der allgemeinen Lage der Frau im späten Mittelalter, der Vorstellungen zu Sexualität und Familie sowie des bürgerlichen Selbst- und Rechtsbewußtseins literarisch mehr zu holen gewesen. Brigitte Werneburg

Steven Ozment: „Die Tochter des Bürgermeisters. Die Rebellion einer jungen Frau im deutschen Mittelalter“, Rowohlt 1997, 352 S., 45 DM

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