: Die Lüge der Eliten über Arbeit für alle
■ Die französische Essayistin Viviane Forrester hat mit dem Buch „Terror der Ökonomie“ eine brillante Streitschrift gegen den Wirtschaftsliberalismus verfaßt
Als gesellschaftliches Problem Nummer eins rangiert in allen Umfragen und Ansprachen die hohe Arbeitslosigkeit. Darf man den neoliberalen Apologeten Glauben schenken, ist sie nur durch Deregulierung und Kostenreduktion zu erreichen. Erst wenn die Wettbewerbsfähigkeit wieder hergestellt sei, erzählen die ökonomischen und politischen Eliten, könne es zu Neueinstellungen kommen. In die Diskussion um „Globalisierung“ und „moderne Wirtschaftspolitik“ ist nun endlich Bewegung gekommen. Viviane Forrester, französische Literaturkritikerin und Essayistin, stellt die Diskussion vom Kopf auf die Füße. Mehr als 300.000 Exemplare hat sie von ihrem Buch „Der Terror der Ökonomie“ in Frankreich verkaufen können. Zu Tausenden strömen die Menschen in ihre Lesungen, um zu hören, wie eine Intellektuelle mit dem Wirtschaftsliberalismus abrechnet.
Gängige politische Lösungsvorschläge seien nur fadenscheinig problemadäquat, sagt sie, bedienen nur alte politische Rituale. Denn sie beruhen auf der Prämisse, Vollbeschäftigung sei möglich. Aber „falsche Fragen provozieren auch falsche Antworten“, sagt sie. Forresters Frage ist daher grundsätzlicher: Wo führt diese Gesellschaft hin? Die Vollbeschäftigung – so ihre zentrale These – wird es nie mehr geben. Unternehmer und Politiker, die dies behaupten, erhoffen sich bloß eine Besänftigung der Bevölkerung. Eine ausschließlich dem Profit huldigende Wirtschaft sehe in der Arbeit einen zu eliminierenden Kostenfaktor. Durch Rationalisierung und moderne Technologie wird keine Arbeit geschaffen, sondern zunehmend abgebaut. Entlassungen als Zeichen der Produktivitätssteigerung werden an der Börse mit Kurssprüngen honoriert. Trotzdem wird weiterhin die Formel propagiert: Was für die Wirtschaft – das heißt für den Profit – gut ist, ist auch für die Arbeitenden gut. „Ohne ,Wertschöpfungen‘ – so wird uns verkündet – gäbe es nichts, nicht einmal die Brosamen – die übrigens auch immer geringer werden –, nicht einmal den kleinsten Vorrat an Arbeit, an Möglichkeiten.“
Mit gravierenden Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl und das gesellschaftliche Ansehen der Menschen wird an der Mär der Vollbeschäftigung festgehalten: „Die Würde des Menschen hängt davon ab, ob er einen Job hat oder nicht.“ Für die Arbeitslosen bedeute dies, sich selbst für ihre Situation verantwortlich zu machen, in Resignation zu verfallen und in Scham zu versinken. Menschen, die noch einen Arbeitsplatz haben, lebten in ständiger Angst, diesen zu verlieren.
Einfühlsam und brillant beschreibt Forrester das Leid, das jedem einzelnen Arbeitslosen durch sein Schicksal widerfährt: „Sie werden dazu gebracht, sich als der Gesellschaft unwürdig zu betrachten, vor allem aber als verantwortlich für ihre Situation, die sie als erniedrigend und sogar verwerflich ansehen. So beschuldigen sie sich selbst einer Sache, deren Opfer sie doch sind.“
Mit Vehemenz enthüllt sie die Lächerlichkeit und gleichzeitige Gefährlichkeit der Argumentation des neoliberalen „Einheitsdenkens“: „Welchen Nutzen kann ein Leben haben, das nicht nützlich für den Profit ist?“ Angesichts der totalitären Erfahrungen in unserem Jahrhundert, die gezeigt haben, wozu Menschen fähig sind, sollten wir uns nicht in Sicherheit wiegen: „Ja, wir leben wirklich in einer Demokratie. Und dennoch ist das Bedrohliche fast schon ausgesprochen, fast schon gemurmelt worden: ,Überflüssig...‘“
Die Masse der Menschen sei im Gegensatz zu früheren Zeiten für eine kleine Gruppe der Machthabenden nicht mehr notwendig. Der Machtzunahme in der Ökonomie stehe eine wachsende Apathie der Bevölkerung gegenüber. Um nur ja nicht der Gruppe der „wertlosen“ Arbeitslosen anzugehören, akzeptierten sie die Forderungen, die Logik einer verfehlten Ökonomie, der Hochtechnologie, der Globalisierung. „Ungehemmt stehen der Barbarei, den Plünderungen mit Samthandschuhen alle Türen offen.“ Forrester sieht diese Fixierung auf die Erwerbsarbeit als zentrales Problem an. Würden Menschen in ihrem Ansehen und ihrer Selbstachtung nicht primär über Arbeit in ihrer „pervertierten Form“ der Beschäftigung definiert, käme es nicht zu solch einer sozialen und psychischen Ausgrenzung.
Forrester streitet gegen eine Haltung, die Kritik nur akzeptiert, wenn sie mit praktischen Veränderungsvorschlägen verbunden ist. Gerade gegen diese Art der Diskreditierung kritischen Denkens setzt sie sich zur Wehr. Dementsprechend bietet sie keine konkreten Alternativvorschläge an. Vom Denken unverzüglich pragmatische Lösungen zu erwarten, stünde auch selber unter dem kapitalistischen Diktat der unmittelbaren Verwertbarkeit von allem und jedem. „Das Risiko der Klarheit einzugehen, das Risiko einzugehen, die Dinge zunächst einmal nur festzustellen, ist das einzige Verhalten, das unsere Zukunft schützt, indem es sich der Gegenwart stellt.“
Mit ihren Thesen füllt Forrester eine Lücke in der aktuellen Diskussion über Globalisierung und Standortpolitik. Die Verkürzung der Diskussion auf die Frage der Wettbewerbsfähigkeit einer Ökonomie auf dem entfesselten Weltmarkt akzeptiert bereits die Prämissen des gegebenen Gesellschaftssystems. Forrester hat den Mut, die Problematik dieser Prämissen anzusprechen und sie in Frage zu stellen. In Interviews hat sie bereits angekündigt, in einem weiteren Buch demnächst an Gegenentwürfen und Alternativen zu arbeiten. Bis dahin könnte der „Terror der Ökonomie“ genügend Anlaß bieten, die Linke ihrem diesbezüglichen, seit 1989 kaum unterbrochenen Dämmerschlaf zu entreißen. Ricarda Mietzko
Viviane Forrester: „Der Terror der Ökonomie“. Zsolnay Verlag, München/Wien 1997, 215 Seiten, 36 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen