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Voscheraus Niederlage macht Laune

Oskar Lafontaine mag in den Hamburger Stimmenverlusten für seine Partei keine SPD-Schlappe erkennen

Kaum jemand mag drinnen im Gebäude warten, obwohl später kaum noch eine Chance auf einen Sitzplatz besteht. Dichtgedrängt stehen die Journalisten auf der breiten Treppe vor der Bonner SPD-Baracke. Auf dem Bürgersteig ist ein Wald aus Fernsehkameras und Mikrophonen entstanden: Im Kampf um das erste Bild des Verlierers geht es um Zentimeter. Dann eilt Oskar Lafontaine herbei – federnder Schritt, zügig, aber ohne Hast. Sein Lächeln verbindet gefaßte Ruhe mit entschlossenem Selbstbewußtsein. Hat er zu Hause vor dem Spiegel geübt?

Es ist in Bonn wieder mal mehr ein Tag der politischen Inszenierungen als der politischen Inhalte. Vor der Wahl in Hamburg haben Spitzenpolitiker parteiübergreifend darauf hingewiesen, daß Ergebnisse in einem Stadtstaat keine Rückschlüsse auf die bundesweite Situation zulassen. Jetzt ist alles anders. Haben die Sozialdemokraten denn überhaupt eine Niederlage erlitten? 7,9 Prozent hätten die Bonner Koalitionsparteien gegenüber ihrem Bundestagswahlergebnis eingebüßt, erheblich mehr als die SPD, rechnet deren Vorsitzender Lafontaine vor. „Nur Pfarrer Hintze kann bei einem solchen Ergebnis in Jubel ausbrechen“, meint Lafontaine mit einem Seitenhieb gegen den CDU-Generalsekretär. „Die Partei in Hamburg hat einen klaren Regierungsauftrag. Sie hat eine Schlappe erlitten, aber sie muß nicht in Sack und Asche herumlaufen.“

Die Bündnisgrünen zeigen sich zufrieden. Parteisprecherin Gunda Röstel freut sich über „unser bundesweit bestes Ergebnis“ und hofft angesichts einer soliden rot-grünen Mehrheit auf ein „gutes Startsignal für Bonn“. Die Schlappe der SPD sei „zur rechten Zeit“ gekommen. Nun hätte sich für den Bundestagswahlkampf das Konzept wohl erledigt, das Thema Innere Sicherheit „mit populistischen Stammtischparolen“ zu behandeln.

Wolfgang Schäuble, Fraktionschef der Union, setzt da einen ganz anderen Schwerpunkt. Die SPD habe eine „Quittung für Neinsagerei“ erhalten. „Der Mißbrauch ihrer Mehrheit im Bundesrat zur totalen Blockade hat der SPD nicht genützt, sondern richtet sich gegen sie.“ Mit Henning Voscherau habe ein bundespolitisch wichtiger Spitzenpolitiker der Sozialdemokraten eine Niederlage erlitten, betont Verteidigungsminister Volker Rühe, selbst ein Hamburger. „Das zeigt, daß es Grund für die SPD zum Nachdenken gibt.“

Da mag dann auch FDP-Chef Wolfgang Gerhardt nicht zurückstehen, sondern will sich trotz der verheerenden Niederlage für die Liberalen ein bißchen als Sieger fühlen. Er gibt der SPD „auch in ihrem eigenen Interesse“ den guten Rat, nicht länger eine „Blockadepolitik“ zu verfolgen.

Oskar Lafontaine scheint gar nicht zu verstehen, weshalb all diese Mahnungen an die Adresse der Sozialdemokraten gerichtet werden. In bundesweiten Meinungsumfragen stehe die SPD wirklich gut da. Ganz anders als die Bonner Koalition. Bundeskanzler Kohl schaffe es nicht, bei irgendeinem wichtigen Thema Einigkeit in der Regierung herzustellen: „Der Mann hat keine handlungsfähige Mehrheit mehr.“

Blaß und still steht Henning Voscherau neben seinem demonstrativ gutgelaunten Parteivorsitzenden. Die Hamburger SPD habe ihr Wahlziel nicht erreicht: „Man muß bereit sein, dann Schluß zu machen. Angenehm ist es mir nicht. Traurig bin ich immer noch. Richtig finde ich's immer noch.“

„Das hier ist die letzte Veranstaltung, in der ich hier in diesem Raum vor Ihnen auftrete“, teilt Voscherau den Journalisten mit. Kündigt er damit seinen endgültigen Rückzug aus der Politik an? Oskar Lafontaine bittet ihn ausdrücklich „um weitere gute Zusammenarbeit“ und blickt Hamburgs noch amtierendem Ersten Bürgermeister tief in die Augen. Der lächelt schmal zurück. Für ein paar Sekunden wird spürbar, daß das Ringen um Voscheraus Zukunft erst begonnen hat. Der Hamburger wäre im Falle eines Regierungswechsels in Bonn wohl einer der ersten Anwärter auf einen Kabinettsposten gewesen. So üppig besetzt ist die SPD in der zweiten Reihe nicht, daß sie auf Voscherau leicht verzichten könnte.

Auch einige Grüne sehen sich durch den Schritt des Hamburger Bürgermeisters in Bedrängnis. Öffentlich nennen sie ihn nur „konsequent“. Aber am Sonntag löste der angekündigte Rückzug in der Parteizentrale Ungläubigkeit, fast Erschrecken bei den wenigen aus, die noch von der Wahlfete übriggeblieben waren. „Wer kommt denn da jetzt?“ fragte Fraktionssprecherin Kerstin Müller ratlos, und Bundesgeschäftsführerin Heide Rühle fürchtete: „Jetzt wird's schon wirklich schwierig mit dem Regieren.“ Sie sieht voraus, daß nun an einer „neuen Legende“ gestrickt werde: Die SPD blute an den Grünen aus.

Alles das, was an der Hamburger Wahl wirklich von bundespolitischer Bedeutung ist, wird in Bonn derzeit nicht vor den Fernsehkameras verhandelt. Am schlimmsten ist das Ergebnis für die FDP: Trotz großem Bonner Aufgebot und hohem finanziellem Aufwand haben die Liberalen den Einzug in die Bürgerschaft nicht einmal knapp, sondern klar verpaßt. Öffentlich plädiert der Parteivorsitzende Wolfgang Gerhardt dafür, Kurs zu halten. Der Wahlkampf für Niedersachsen und Sachsen- Anhalt beginne „heute“. Er will bei der Steuerreform konsequent bleiben. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, „wir seien für kleine Kompromisse zu haben“. So weit, so bekannt. Ob das reicht? Leise noch, aber schon unüberhörbar, gibt es erste Stimmen in der FDP, die eine neue Personal- und Kabinettsdiskussion fordern. Bettina Gaus, Bonn

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