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Kalte Schnitte, schlaue Bauern

Die Londoner Sample-Pioniere Coldcut boykottieren den Rock-Supermarkt. Rolling Stones und Bowie kriegen keine Remixe. Cool kids can wait, denn: „Besser ist es, das Land in Abständen ruhenzulassen, damit der Boden sich erholt“  ■ Von Oliver Schäfer

Die denken historisch, die Leute! „Die Rolling Stones waren eine großartige Rockband, auch wenn sie heute absolut überflüssig sind. Wenn nur zehn Prozent der Musiker dieser Tage einen Bruchteil der Energie hätten, die die Stones ausstrahlten, als sie gut waren, wären wir schon zufrieden.“ So Jonathan More, seines Zeichens streitbare Hälfte des legendären Sample-Projektes Coldcut und zusammen mit seinem Partner Matt Black maßgeblich mitverantwortlich für die ambivalenteste aller musikalischen Genre-Schubladen: TripHop.

Die beiden Londoner lösten Ende der Achtziger mit „Say Kids What Time Is It“ einen erdrutschartigen Boom samplegestützter Musik aus, initiierten die Karrieren britischer Popsternchen wie Lisa Stansfield und Yazz und etablierten mit ihrer Neufassung von Eric B & Rakims „Paid in full“ den Remix als eigenständige Kunstform. Doch ihre Bemühungen wurden in den verschiedenen Chefetagen der Plattenfirmen gründlich mißbraucht. Während der sonysche Großkapitalismus unablässig nach immer neuen Hits verlangte, wollten More und Black nie das Huhn sein, das goldene Schallplatten legt, und verzogen sich konsequenterweise für kurze Zeit in die selbstgewählte Diaspora nach Japan.

Das nach ihrer Rückkehr an die Themse gegründete Plattenlabel Ninja Tune avancierte zügig zu einer der wichtigsten Quellen für experimentelle elektronische Musik, und wieder einmal stand die Arbeit von Coldcut hoch im Kurs. Mit dem kleinen Unterschied, daß Entscheidungen nicht mehr in edel möblierten Chefetagen, sondern komplett im kleinen Ninja- Tune-Büro selbst getroffen werden. Nicht gerade gut für die Rolling Stones. Deren Remix-Anfrage lehnten Black und More kürzlich ab.

Black: „Wir kommen nicht weiter, wenn wir all unsere Energie in den tausendsten Rock-'n'-Roll- Aufguß stecken.“ So vielfältig die Angebote seitens etablierter Größen auch sind, seriös seien davon die wenigsten. „Popstars wollen einfach neue Märkte erobern, denn bekanntlich geht es dem Rock-Busineß alles andere als gut. Dafür schauen sie sich ein bißchen um, wer gerade trendy ist, sprechen die Leute an und schreiben einen dicken Scheck. U2 zum Beispiel sind eine großartige Rockband und hätten bei dem bleiben sollen, was sie können. Mittlerweile sind sie zu einem Supermarktprodukt verkommen. Wir sind nicht generell anti Rock. Rock war mal eine aufregende Jugendmusik. Heute ist es ein Klischee und stirbt, während das weiße, männliche, kapitalistische Musikbusineß versucht, noch den letzten Pfennig aus der Leiche rauszuquetschen.“

Black und More wissen sehr genau, daß ein Remix- Wunsch seitens David Bowies oder anderer Größen keineswegs bedeutet, daß der ihre Platten gehört, geschweige denn einen ihrer Live-Gigs auch besucht hat.

Anfragen dieser Art werden in den allermeisten Fällen auf Managementebene getroffen, musikalische Orientierung reduziert sich auf Marketingstrategien. Ein Weg, den Coldcut nie beschritten haben. Selbst die von ihnen organisierte zentrale Londoner Broken-Beat-Nacht „Stealth“ erfuhr auf ihrer Klimax das reinigende Aus.

Während legendäre „Underground“-Firmen wie LTJ Bukems Logical Progression-Label intensivst dem Veranstaltungsoverkill entgegensteuern, zog man in Sachen Stealth-Club – der immerhin in den hochauflagigen britischen Trendpostillen The Face, NME und Mixmag zum Club des Jahres '96 gewählt worden war – rechtzeitig den Schlußstrich.

Black: „Irgendwann wird alles, was gut läuft, zu einem Trend. Wir wollten die unausweichliche Übersättigung vermeiden.“

More: „Letztendlich hat es uns unheimlich gestört, daß man am Ende der Party aus dem Blue Note rausging, und da standen immer noch 200 Leute vor dem Club. Wir mögen Ideen, die unausgereift, roh sind.“

Black: „Die Art und Weise, wie wir arbeiten, beinhaltet eine gewisse Perversität. Der normale Weg ist doch, ein Produkt zu entwickeln, es so oft zu verkaufen, bis die Leute es nicht mehr sehen können, dann eine neue Verpackung drum zu machen und von vorne anzufangen. Das ist nicht unser Ding. Schlaue Farmer lassen ihr Land auch in Abständen brachliegen, damit sich der Boden erholen kann.“

Sorgen müssen sich Coldcut derweil auch in Konsolidierungsphasen nicht machen. Obwohl die Urväter der Samplekultur gegenüber der derzeit hippen, jungen Produzentenriege fast zum alten Eisen zählen, werden innovative Ideen doch erstaunlich oft im Ninja-Tune-Büro geboren.

Black: „Es gibt da eine recht große Gruppe, die wir die ,TripHop-Bollocks‘ nennen. Es ist sehr einfach, einen Breakbeat zu sampeln, zu loopen, einen Baß drunter zu legen und mit den Rhodes den einen oder anderen Akkord darüber zu spielen. Dazu ein paar komische elektronische Geräusche, und du hast Instant TripHop.“

More: „Das wollten auch viele Leute auf unserem Album hören. Wieso sollen wir so einen Müll produzieren? Wir haben das, was heute unter dem Namen TripHop läuft, schon vor 12 Jahren gemacht. Wir sind die Wegbereiter. Coldcut spricht die Leute an, die einen weiten Horizont haben, die sich nicht ausschließlich fürs Tanzen oder Vögeln interessieren.“

So urteilte auch die britische Musikpresse fast einstimmig, daß Coldcut nicht nur musikalisch, sondern auch auf dem Gebiet innovativer Technologien mit ihrem Album „Let Us Play“ (deutscher Vertrieb: Public Propaganda) zuzüglich wegweisender CD-ROM die Konkurrenz weit hinter sich lassen. Und das verlangt in dem Geschäft mindestens Respekt.

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