Hemdsärmlig statt hanseatisch

Ortwin Runde wird Hamburgs erster Bürgermeister, der aus der linken Ecke der SPD kommt. Doch selbst rechte Sozialdemokraten schätzen den kompromißbereiten Kandidaten  ■ Aus Hamburg Silke Mertins

Im gemächlichen Seemannsgang bahnte sich die ostfriesische Frohnatur Ortwin Runde den Weg vorbei an den drängelnden Kameraleuten und Fotografen. Hektik breitete sich am Montag abend im Kurt-Schumacher-Haus unter den wartenden Journalisten aus. Wird er nun der neue Bürgermeister oder wird er's nicht? Vier Stunden beriet der SPD-Landesvorstand nun schon, wer den zurückgetretenen Henning Voscherau beerben soll. Der selbsternannte Kronprinz und parteirechte Umweltsenator Fritz Vahrenholt war bereits wie Rumpelstilzchen aus dem Saal geschossen und hatte wutschnaubend seinen Rückzug erklärt.

Die rechten SPD-Fürsten hatten einem Linken ihren Segen gegeben, war zwischen Flur und Herrentoilette zu erfahren. Und zwar „dem Ortwin“ — Hamburgs Finanzsenator. So etwas gleichermaßen Ungehöriges wie Verblüffendes hat es in der Hamburger SPD- Geschichte noch nicht gegeben. Einen Linken als Bürgermeisterkandidaten.

Noch etwas blaß um die Nase trat der 53jährige Runde vor die Presse. Artig wurde sich bei der Partei bedankt, Betroffenheit über Voscheraus Rücktritt und das schlechteste SPD-Wahlergebnis der Nachkriegszeit bekundet. Dann legte er los: Die „soziale Polarisierung“ gelte es zu überwinden, die „Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen“, den „Opfern des strukturellen Wandels“ zu helfen.

Daß SozialdemokratInnen so etwas fordern, hatte man im Voscherau-Wahlkampf um die Innere Sicherheit fast vergessen. Plötzlich doch nicht „mehr Obrigkeitsstaat“, wie Voscherau gefordert hatte, begehrte ein Journalist zu wissen. „Der Obrigkeitsstaat gehört für mich in ein anderes Zeitalter“, antwortete Runde gedehnt. Deutlicher kann sich der designierte Hamburger Regierungschef nicht von seinem Vorgänger und langjährigen Gegenspieler Voscherau distanzieren.

Runde gehört zu denen, die das Bemühen um eine SPD mit christdemokratischem Antlitz für populistisches Anbiedern halten. Nicht nur politisch könnten der abgetretene und der kommende Stadtchef kaum unterschiedlicher sein: hier der kühle und schmächtige, stets adrett gekleidete Vorzeigehanseat Voscherau; dort der pausbäckige Ostfriese mit der schief sitzenden bunten Krawatte zum gestreiften Hemd, der seine ParteikollegInnen gerne mal knufft und noch lieber über seine eigenen Scherze lacht.

Will Runde sich um eine Antwort drücken, redet er so lange drum herum, bis sein Gegenüber die Frage vergessen hat. Jenseits der Mikros aber können seine Bemerkungen beißend, gnadenlos und zielgenau sein. Er ist keiner, den man sich gerne zum Feind macht. Dennoch: Runde wird von seiner Partei gemocht, Voscherau respektiert. Runde ist ein Kumpel, Voscherau war ein Oberlehrer. Wenn der Finanzsenator mit der Krawatte in der Hand plaudernd über die Flure der Bürgerschaft schlurft, sieht man ihm sein strategisches Geschick und seinen großen Einfluß in der SPD nicht an. Vor zehn Jahren hielt man ihn noch für einen unscheinbaren Spitzenpolitiker aus dem mächtigen Bezirk Nord, dem ein Erbhof der Linken, die Sozialbehörde, zufiel. Doch spätestens als Finanzsenator hat er sich nicht nur über Partei-, sondern auch über Hamburgs Landesgrenzen hinaus einen Namen gemacht.

Daß Runde integrieren kann, hat er als Parteichef bereits in den achtziger Jahren unter Beweis gestellt. Rot-Grün, das weiß er, kann er, ohne die Rechten ins Boot zu holen, nicht hinkriegen. Und zumindest die Atmosphäre zwischen Runde und den Konservativen in der SPD scheint zu stimmen: Ihnen gefällt nicht nur seine Hemdsärmeligkeit; sie trauen ihm darüber hinaus zu, eine Regierungsmannschaft zusammenzustellen, die die SPD nicht vor eine Zerreißprobe stellt.

Auch die Grünen sind erleichtert: Runde ist ein kalkulierbarer Verhandlungspartner. Ein Selbstgänger ist Rot-Grün deshalb nicht. Doch wenn die Hamburger GAL sich nicht allzu krasse Fehler erlaubt, ist aus den inneren Zirkeln der SPD zu hören, wird die Koalition, die Voscherau nicht wollte, kaum zu verhindern sein.