: „Bin kein Vorzeigetürke“
Hakki Keskin, der erste deutsch-türkische Bürgerschaftsabgeordnete, tritt nicht wieder an: Die SPD sei verfilzt, kraftlos und starr ■ Von Silke Mertins
Über zwei Jahre fügte sich Hakki Keskin in der Hamburger Bürgerschaft dem Fraktionszwang der SPD – gegen seine „eigene Überzeugung und gegen das eigene Gewissen“. Als sich der erste deutsch-türkische Abgeordnete eines Landesparlamants schließlich entschloß, die minderheitenfeindliche Politik seiner Partei nicht weiter wortlos hinzunehmen, durfte er im Parlament nicht einmal mehr reden. Wenn er zu Migrationspolitik mitdiskustieren wollte, mußte er sich mit einer persönlichen Erklärung begnügen. Der Gang zum Rednerpult wurde zum Spießrutenlauf.
Nun, drei Tage nach der Wahl, begründet der Hochschulprofessor und Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, warum er nicht erneut für die neue Bürgerschaft kandidiert hat: Er ist verbittert über die „verkrusteten Machtstrukturen“, die „Verflechtung und Verfilzung“und das Blockieren „neuer Impulse und kreativer Ideen“. Man habe ihn als „Vorzeige-Türken“mißbraucht.
„Eine konstruktive Kritik“, so Keskin, wird „vermieden“und „führt zunehmend zu einer Lähmung der Parteidynamik, zu einem erheblichen Verlust an Glaubwürdigkeit der Partei“. Das Resultat: Politikverdrossenheit. Das verheerende Wahlergebnis sei ein „deutlicher Hinweis“darauf. Die SPD „ist nicht mehr Hoffnungsträger bei der Lösung der dringenden Probleme, so bei Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot“, weil „die politische Orientierung zu starr“sei.
Parteibeschlüsse würden nicht umgesetzt – Beispiel Antidiskriminierungsgesetz –, „konzeptionelle Überlegungen nicht angestellt“und Vorschläge der Opposition „aus Prinzip“abgelehnt, auch wenn sie mit den Vorstellungen der SPD übereinstimmen. Sachpolitik spiele keine Rolle.
Schlimmer noch: „Als Politikwissenschaftler habe ich in meiner vierjährigen Tätigkeit als Abgeordneter feststellen müssen, daß die wichtigste und praxisnahe Kontrolle, nämlich die von Regierung und Verwaltung durch das Parlament, faktisch nicht stattfindet.“Damit würde „die Gewaltenteilung“außer Kraft gesetzt. Lediglich die Oppositionsparteien bemühten sich um Kontrolle, doch das habe mangels Mehrheit nur „Appellcharakter“.
Keskins engagierter Versuch, 1991 mit seinem Einzug in die Bürgerschaft „ein Signal“zu setzen und parteiintern Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit zu leisten, stellte sich zu seiner Enttäuschung als vergebliche Liebesmüh heraus. Nie habe man ihn „als Fachmann“anerkannt, immer nur als „parteiischen Abgeordneten ausländischer Herkunft“. Sein Fazit: Die SPD ist nicht in der Lage, „aus eigener Kraft“den „dringend notwendigen Erneuerungsprozeß herbeizuführen“.
Und weil eine Große Koalition lediglich dazu führen würde, „Pfründe zwischen CDU und SPD neu zu verteilen“, empfiehlt Keskin ein Bündnis mit der GAL. Eine „rot-grüne Koalition ist daher eine Chance nicht nur für Hamburg, sondern auch für den bislang dominierenden Machtfaktor SPD, sich selbstkritisch zu beleuchten und möglicherweise auch zu erneuern.“
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