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Our Daily Soap

■ Fernseh-Fieber im geschichtsfreien Genre: "Beim Fernsehen hinter den Kulissen - Verbotene Liebe" (16.15 Uhr, 3sat)

Am 11. Mai 1992 pünktlich um 19.40 Uhr landete ein Linienflugzeug in Berlin-Schönefeld. Die LTU-Maschine brachte Vera und Clemens Richter von Teneriffa auf die RTL-Bildschirme und die Daily Soap in unser weiland seifenfreies Land.

Zwei Jahre, sieben Monate und 22 Tage nach dieser ersten Bildsequenz der nahenden „Guten Zeiten, schlechten Zeiten“, um genau 17.55 Uhr, landete auf den heimischen Bildschirmen wieder ein Flugzeug ins Soap-Jahrzehnt. An Bord diesmal: die verbotene Liebe zwischen Jan und Julia sowie die erste Daily Soap im Ersten Deutschen Fernsehen. Die wiederholte Flugzeuglandung war mehr als bloß ein einfallsloses GZSZ-Imitat: Schließlich kam das Soap-Flugzeug der „Verbotenen Lieben“ nicht aus irgendeinem Urlaub in irgendeinen televisionären Freizeitpark geflogen, sondern geradewegs aus Amerika ins öffentlich- rechtliche Vorabendprogramm.

Ein schönes Bild eigentlich, ironische Reverenz an die Konkurrenz und darüber hinaus demonstrativer Verweis auf eine Provenienz jenseits der privaten Trendsetter jenseits des Atlantiks. Denn mit der Daily Soap verhält es sich genauso wie mit so vielem, was das deutsche Fernsehen dem Fernsehzuschauer zumutet: in den USA ersonnen und dort seit Jahrzehnten unbekümmerter TV-Alltag, in Deutschland geschichtslos importiert und deshalb vorderhand als entbehrlich befunden. Weswegen die noch immer jüngste Genre- Adaption mit ihren wackelnden Studiowänden, ihren hölzernen Dialogen und nimmer enden wollenden Foto-Lovestory-Plots zuerst einmal skeptisch betrachtet und öffentlich verachtet wurde – gerade so, als hätten „Hitparade“ und „Komödienstadl“ Niveau. Doch die Sehgewohnheiten der deutschen Fernsehzuschauer sind eben traditionell konservativ. Und wer weiß, vielleicht lautete auch deshalb der erste Satz in der „Verbotenen Liebe schlicht: „Tschuldigung ...“

Inzwischen jedoch kann die Landung der Daily Soap im daily Fernsehen als geglückt gelten. Längst gibt es Daily-Stars, Daily- Flops, Daily-Fans und -Fanzines, -News und -Newsgroups, Gruppenspiele und Selbsthilfegruppen. Die guten, schlechten, verbotenen oder geliebten Serien erfahren alle zusammen und jede für sich mehr Zuspruch und Ablehnung als – anno „Dallas“ und „Denver“ – die Pioniertaten der „Lindenstraße“.

Doch im Gegensatz zur „Lindenstraße“, sind die Dailys allesamt so entschieden werktäglich wie unsere Ladenöffnungszeiten. Entstand doch auch die deutsche Soap der 90er, wie dazumal die amerikanische Urseife, aus dem Bedürfnis der Werbeindustrie nach geeignetem Programm. Formgenau hat sich die Soap daher in die abgesteckten Sendezeiten und -bedürfnisse einzupassen. Ihr Anlaß ist ein ausschließlich ein kommerzieller, und ihre Daseinsberechtigung erschöpft sich schon in ihrer Gegenwärtigkeit, im Kontinuum ihrer Konsumierbarkeit.

So gesehen funktioniert die Verfertigung eine Daily Soap seit ihrer Erfindung unter ganz anderen Prämissen als die Produktion einer Nachrichtensendung, einer Unterhaltungsshow oder eines Fernsehfilms. Zwar sind auch für die Soap Routine, Teamgeist und Talent unabdingbar, doch sollen sie in erster Linie nicht Qualität gewährleisten, sondern termingerechte Quantität.

Vielleicht beschränkt sich deshalb die selbstreferentielle Betrachtung der 3sat-Reihe „Fernseh-Fieber“ beim Thema Soap auf ein 15minütiges, rein deskriptives Making-of-Feature. „TV-IN- FORM: Beim Fernsehen hinter den Kulissen. Verbotene Liebe – einen Tag lang!“ wurde fürs WDR- Schulfernsehen produziert und ist gerade mal ein knappes Jahr alt. Was sollte die (deutsche) Geschichtslosigkeit des Genres besser veranschaulichen können als die Wahl ebendieses kurzen und wertfreien Off-stage-Beitrags?

„Verbotene Liebe – einen Tag lang!“ fragt gar nicht erst nach Ruhm und Wirkung, sondern zeigt den seriellen Nine-to-five-Job, der um acht beginnt und an vier Tagen pro Woche 20 Szenen pro Tag produziert. (Nur brasilianischen telenovelas sind da noch fixer als die deutsche Wertarbeit aus dem Hause Grundy/UFA.) Und nach Stellprobe, Generalprobe und maximal drei Takes ist der Dreh perfekt. So will es der computergestützte Zeitplan.

Wozu also lang und breit die gesellschaftliche Funktion der Daily Soap, wozu ihr didaktisches, ihr manipulatorischese Potential diskutieren, wozu die Behauptung aufstellen, da Pappmachéwände und Laiendarsteller (dem Brechtschen V-Effekt nicht unähnlich) den televisionären Illusions-Perfektionismus konterkarieren? Wenn der letzte Satz des Features lautet „Um 18.30 Uhr ist der Arbeitstag vorbei“, ist damit vielleicht tatsächlich schon alles gesagt. Christoph Schultheis

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