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Räumen für "sauberen Bezirk"

■ Bezirksverordnetenversammlung Treptow beschließt überraschend Räumung der Wagenburg an der Lohmühle. Begründung: "Mangelnde Integrationsfähigkeit"

Die Wagenburg an der Lohmühle in Alt-Treptow nahe der Bezirksgrenze zu Kreuzberg soll geräumt werden. Das beschloß am Mittwoch abend die Bezirksverordnetenversammlung in einem Überraschungscoup mit den Stimmen von CDU und SPD. Den Bewohnern soll laut BVV-Votum ausdrücklich kein öffentliches Ersatzgrundstück angeboten werden. Um Obdachlosigkeit zu vermeiden, sollen die BewohnerInnen statt dessen Wohnungen angeboten bekommen. Der Beschluß verpflichtet Bezirksbürgermeister Michael Brückner (SPD), bei Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) einen Räumungsantrag zu stellen.

Wagenburgbewohner Jürgen Hans zeigte sich von dem Beschluß völlig überrascht. Noch vor zwei Wochen hatte er mit Baustadtrat Dieter Schmitz (SPD) über eine Pachtung des Grundstücks verhandelt. Da sei von Zwangsräumung keine Rede gewesen. Mit dem Beschluß hatte sich der Law-and-order-Flügel der Treptower SPD gegen parteiinternen Sachverstand durchgesetzt. In den Ausschüssen für Soziales sowie für Grünflächen hatten die Genossen vor wenigen Tagen noch dafür plädiert, den Wagenburglern bei einer geplanten Teilbebauung des Anwesens ein Ersatzgrundstück anzubieten.

SPD-Fraktionsvorsitzender Lothar Beck begründete den eilends mit der CDU eingebrachten Änderungsantrag mit der „mangelnden Integrationsfähigkeit“ der Lohmühler „in die Gesellschaft“. Solch eine Haltung hat für die Treptower SPD Tradition. Vor Monaten bereits fragten sie Sozialstadträtin Monika Wandrow (PDS), was sie dagegen zu tun gedenke, daß Bewohner eines Obdachlosenheimes vor einer Kirche „herumlungerten“. Die Städträtin verwies auf das Recht der Bewohner, ihren Aufenthalt selbst zu bestimmen.

Woran Beck Integrationsfähigkeit festmache, wollte der bündnis- grüne Bezirksverordnete Michael Diehl in der erregten Fragestunde der BVV wissen. Seien für ihn alle diejenigen integrationsunwillig, „die nicht in festen Häusern wohnen“? Beck blieb die Antwort schuldig. Diehl warnte davor, Menschen nach äußeren Merkmalen als der Gesellschaft zugehörig oder nicht zugehörig zu selektieren. Seiner Meinung nach hätten die Lohmühler durch soziale Projekte im Kultur- und Jugendbereich und durch Drogenausstiegsprogramme mehr als „integrationswillig“ gezeigt: Mit dem Verein zur Jugendförderung „Kulturbanausen e.V.“ fördern sie kulturelle Eigeninitiativen von Kindern und Jugendlichen weit über den Bezirk hinaus und arbeiten mit der Jugendförderung des Bezirksamtes zusammen.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Grasenick unterstellte Gegnern des Räumungsbeschlusses, sie seien gegen ein „sauberes Treptow“. Marina Mai

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