: Rosa Schleifen gegen den Krebs
In den USA erkrankt jede achte Frau im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs, in Deutschland jede zehnte. „Wenn diese Krankheit Männer träfe, hätten diese längst Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um der Epidemie Herr zu werden“, fauchten US-Amerikanerinnen und gründeten 1992 die National Breast Cancer Coalition. Das Symbol dieser Koalition, die rosa Schleife, soll nun von Oktober
an auch in der Bundesrepublik getragen werden
Am 1. Oktober startet in Deutschland eine großangelegte Kampagne gegen den Brustkrebs. In den USA ist die Krankheit dank intensiver Lobbyarbeit von Frauen inzwischen zum Politikum geworden Von Uta Andresen
Rosa Schleifen gegen den Krebs
Glänzend ist sie und rosarot. Wer im Oktober bei Hertie, Karstadt oder in einem anderen Kaufhaus Parfüm kaufen geht, wird ihr öfter begegnen – der rosa Schleife am Revers der Verkäuferin. Hinter dem Streifen steckt die Aufklärungsinitiative „Bewußtsein für Brustkrebs“. Eine Kampagne, die gemeinsam von der Kosmetikfirma Estée Lauder, dem Onkologen-Zusammenschluß Deutsche Krebsgesellschaft und dem Pharmakonzern Zeneca getragen wird. Die Verkäuferinnen, die sonst Cremes und Lotions über den Tresen reichen, werden Broschüren zur Selbstuntersuchung und Schleifen verteilen.
Die rosa Schleife stammt aus den USA. Brustkrebs ist dort mittlerweile ein Politikum – und das rosa Teil das Erkennungszeichen dieser Bewegung. Brustkrebs, schreibt die National Breast Cancer Coalition (NBCC), sei eine „Epidemie“. Und das ist nicht übertrieben – jede achte amerikanische Frau ist erkrankt.
Die Rate der Neuerkrankungen steigt
Die NBCC, zu der über 250 Brustkrebsselbsthilfegruppen gehören, macht seit 1992 mit Unterschriftenaktionen, Demonstrationen, Happenings und forscher Lobbyarbeit auf das Problem aufmerksam. Derart unter Druck gesetzt, hat die US- Regierung 1994 über 400 Millionen Dollar für die Brustkrebsforschung bereitgestellt.
In Deutschland ist diese Art von Öffentlichkeit bisher nicht vorhanden. Dabei ist die Situation ähnlich desolat. Eine Viertelmillion Frauen haben bereits Brustkrebs, jedes Jahr kommen 43.000 Neuerkrankungen dazu. Und die Rate steigt. Vor 20 Jahren war noch jede 18. Frau betroffen – heute ist es jede zehnte.
Estée Lauder möchte die rosa Schleife auch hierzulande etablieren und damit mehr Aufmerksamkeit auf das Thema lenken. Dann, so hoffen die InitiatorInnen, würden sich auch mehr Frauen offen zu ihrer Krankheit bekennen. „Brustkrebs ist hier immer noch ein Tabu“, sagt Doris Fuldauer, Sprecherin bei Estée Lauder.
Die „Frauenselbsthilfe nach Krebs“, mit 40.000 Mitgliedern der größte Betroffenenverband in Deutschland, will auch für mehr Bewußtsein sorgen – aber nicht mit der Schleife am Revers. „Wir weigern uns, die zu tragen“, sagt Annegret Haasche, Bundesvorsitzende der Frauenselbsthilfe. Den Grund liefert sie gleich mit: „Unsere Frauen haben Angst, mit den Aidskranken verwechselt zu werden.“
Krebs sei eben ein persönliches Schicksal, und man müsse es den Betroffenen schon selbst überlassen, sich zu outen. Genau das sei der falsche Weg, mit der Krankheit umzugehen, sagt wiederum Regina Stolzenberg vom Feministischen Frauengesundheitszentrum in Berlin: „Brustkrebs ist kein Einzelschicksal.“ Auch sie kritisiert die Aktion, allerdings aus anderem Grund: Angesichts von täglich 100 Neuerkrankungen in Deutschland genüge es nicht, Selbstuntersuchung zu propagieren. Diesen Eindruck aber hinterlasse die Lauder-Kampagne. Ein Punkt, in dem sich das Feministische Frauengesundheitszentrum Berlin und die eher konservative Frauenselbsthilfe einig sind.
„Augenwischerei“ sei die Selbstuntersuchung und würde die Frauen in „falscher Sicherheit wiegen“, sagen die Vertreterinnen, weil durch Tasten eine Geschwulst viel zu spät entdeckt wird.
Doch dann ist es mit der Gemeinsamkeit auch schon wieder vorbei. Haasche von der Frauenselbsthilfe fordert die Mammographie aller Frauen zwischen 50 und 70 Jahren. Und zwar alle zwei Jahre mit geprüften Geräten und speziell geschulten Ärzten. Ihre Kritik: Die meisten Geräte seien schlicht überaltet und viele Radiologen schlecht geschult.
„Es ist ein Skandal“, so Haasche, „daß eine Frau regelmäßig zur Untersuchung geht und ein halbes Jahr nach der Mammographie einen Knoten in ihrer Brust entdecken muß.“ Im Frauengesundheitszentrum steht man dem Screening eher skeptisch gegenüber.
Toxikologe Wassermann: „Ein Genozid an Frauen“
Immerhin, so Stolzenberg, „entdecken die meisten Frauen den Krebs selbst“. Ihr Rezept: mehr politische Kontrolle, vor allem der Forschung. „Es müßte hinterfragt werden, wohin Forschungsgelder fließen“, sagt sie. Beispiel: Das Bundesforschungsministerium fördert neue „Gentherapien“ gegen Brustkrebs in diesem Jahr mit 1,4 Millionen Mark.
Ähnlich argumentiert der Kieler Toxikologe Otmar Wassermann. Er bemängelt, daß die Ursachenforschung vernachlässigt werde. Das sei unverantwortlich und „ein Genozid an Frauen“. Wassermann fordert epidemiologische Studien. Für diese müßte aber die Häufigkeit von Brustkrebserkrankungen erst einmal bundesweit registriert werden. So ein Register befindet sich jedoch erst im Aufbau. Einsetzbar wird es erst von 1999 an sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen