: Tatkräftig in die Jahre gekommen
Die bayerische Landeshauptstadt ist beinahe schon eine Hochburg der Steinerschen Pädagogik. Vier freie Schulen feiern mit einer Festwoche im Oktober Jubiläum: „50 Jahre Waldorfpädagogik“ in München ■ Von Stéphanie Stephan
Waldorfschulen sind immer das Ergebnis von freier Initiative und dem Zusammenwirken von Lehrern und Eltern. Das ist heute noch so. In München allerdings wurde dieser Impuls noch durch die 1946 von der Militärregierung genehmigte bayerische Verfassung gestärkt, in der den freien Schulen – also auch den Steiner-Schulen – die Aufgabe zugewiesen wurde, „das öffentliche Schulwesen zu bereichern und besondere Formen des Unterrichts und der Erziehung zu fördern.
Angefangen hat alles 1946 mit 85 Kindern in einem Wohnzimmer in der Leopoldstraße, mitten im stark zerstörten Stadtteil Schwabing – dort, wo heute versteckt in einem Hinterhof die in goetheanistischer Bauweise errichtete Mutterschule liegt. Nach der 1947 erfolgten offiziellen Gründung der Schule errichteten einige tatkräftige Eltern zwei Baracken auf einem Ruinengrundstück gleich neben dem provisorisch aufgebauten Goethesaal-Gebäude an Münchnens Prachtstraße.
Doch die 550 Kinder, die damals dort schon unterrichtet wurden, entwuchsen diesen Räumlichkeiten sehr schnell, so daß schon bald nach einer neue Unterkunft gesucht werden mußte. Von einer in die Schweiz emigrierten Familie konnte dann endlich ein unbebautes Grundstück erworben werden. Es liegt zwischen dem Haus, in dem Rudolf Steiner, der Begründer der Waldorfschulen, seine Mysteriendramen geschrieben hat, und einem anderen Grundstück, das ursprünglich für den Bau des schließlich im schweizerischen Dornach errichteten „Goetheanums“ vorgesehen war.
Die Baugeschichte der Schule ist für ihren Architekten Walter Beck ein typisches Beispiel für den Kampf der freien Schule um ihre Selbstbehauptung – es kostete ihn einige Mühe, die skeptischen Behörden von seinen Gestaltungsvorschlägen zu überzeugen. Öffentliche Zuschüsse bekam das Projekt auch nicht, doch 1954 konnte dennoch das Richtfest gefeiert werden.
Es fehlte aber noch eine Aula. So entstand – wieder ohne Zuschüsse – das heutige Theater an der Leopoldstraße, das für öffentliche Theateraufführungen, Konzerte und Vorträge genauso genutzt wird wie für schulinterne Veranstaltungen. Angelehnt an den Entwurf Rudolf Steiners für den Innenraum des Goetheanums, wird dieser Raum an den Seitenwänden von je sieben Säulen getragen. Es ist übrigens der erste goetheanistische Theaterbau außerhalb Dornachs und hat dazu beigetragen, daß die Schule seit Jahren ihren festen Platz im kulturellen Leben Münchens einnimmt.
Heute ist die Mutterschule auf rund 500 Schüler und 13 Klassen angewachsen. In den 80er Jahren haben sich drei weitere Ableger in den Ortsteilen Daglfing, Gröbenzell und Ismaning dazugesellt, denn eine Erweiterung auf dem Gelände an der Leopoldstraße war nicht mehr möglich. Insgesamt zählt der Münchner Raum damit rund 1.800 Steiner-Schüler.
Die Waldorfschulen, benannt nach der ersten Schule dieser Art, die 1919 im Auftrag von Emil Molt, Direktor der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik von Rudolf Steiner eröffnet wurde, erfreuten sich jahrelang bundesweit eines enormen Zuspruchs. Das pädagogische Konzept, allen Kindern, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und ihren finanziellen Möglichkeiten, eine zwölfjährige Schulausbildung zu ermöglichen, scheint dabei eine zweitrangige Rolle zu spielen, denn die meisten Eltern wollen heutzutage, daß ihre Zöglinge in jedem Fall die gängigen Schulabschlüsse erreichen. Die sind jedoch von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich und in Bayern besonders schwer.
Ohnedies ist der Run auf die Steiner-Schulen mittlerweile abgeklungen. Die Frage, ob dies an diversen Negativschlagzeilen der vergangenen zwei Jahre liegt, an der schlechteren Finanzlage vieler Eltern oder einfach einer allgemein kritischeren Hinterfragung der Waldorfpädagogik, bereitet in anthroposophischen Kreisen derzeit einiges Kopfzerbrechen.
Nichtsdestotrotz blicken nicht nur die Münchener Schulen mit einigem Stolz auf die geleistete Arbeit zurück, haben doch schon etliche Schülergenerationen ihren Platz im Leben gefunden.
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