piwik no script img

Altersteilzeit als Modell für alle Unternehmen?

■ Der beschäftigungspolitische Effekt der Pilotlösung in der Metallbranche ist ungewiß

Berlin (taz) – Einen Tag nach der Einigung in der Metallindustrie im Südwesten zeigten sich Arbeitgeber und Gewerkschaft gestern zuversichtlich. Beide Parteien wollen die tarifvertragliche Regelung zur Altersteilzeit auch in anderen Regionen übernehmen.

Nach dem Modell, das vom 1. November an zunächst im Tarifgebiet Nordbaden/Nordwürttemberg gilt, soll die Altersteilzeit grundsätzlich durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung eingeführt werden. Kommt eine Einigung nicht zustande, haben Mitarbeiter, die 61 Jahre alt sind, einen individuellen Anspruch auf Altersteilzeit bis zur Rente. In der Kölner Geschäftsstelle des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall geht man davon aus, daß der Vorstand die Übernahme der Pilotregelung am Donnerstag einstimmig übernehmen wird. Auch die Gewerkschaft IG Metall signalisierte ihren Willen zu einer flächendeckenden Altersteilzeitregelung.

Ob die Altersteilzeit allerdings mehr Arbeitsplätze bringen wird, bezweifeln Experten. Lars Herrmann, Partner der Berliner Arbeitszeitfirma Hoff und Weidinger, sieht darin „eine schnelle Möglichkeit, die Jugendarbeitslosigkeit zu verringern“. Firmen, die einen staatlichen Zuschuß für die Frühaussteiger erhalten wollen, sind laut Gesetz verpflichtet, für den Altersteilzeitler einen Berufsanfänger oder einen Arbeitslosen einzustellen. Eine Beschäftigungsförderung werde jedoch nicht ereicht, so Herrmann. Die Altersteilzeit kaschiere lediglich die Arbeitslosenzahlen, da die Frührentner, die etwa mit 63 statt 65 aus dem Beruf aussteigen, nicht mehr in den Statistiken auftauchen.

Auch wenn IG-Metall-Vizechef Walter Riester den Kompromiß gestern abermals als großen politischen Wurf feierte, bleiben die Kollegen vor Ort skeptisch. Beim Opel-Werk in Rüsselsheim will man zunächst die Verhandlungen mit der Geschäftsleitung abwarten. Rudi Müller, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats, befürchtet, daß die Altersteilzeit ab 55 Jahre nicht kollektiv für den gesamten Betrieb abgeschlossen werde, sondern nur für einzelne Bereiche, in denen ohnehin Personal entlassen werden soll. In der Tendenz aber sei der Kompromiß „akzeptabel“, da die Wiedererbesetzungsklausel den Jungfacharbeitern „einiges an Zukunftsängsten nimmt“. Noch vermag niemand zu sagen, wie viele Unternehmen bereit sind, betriebliche Vereinbarungen zu einer Altersteilzeit ab 55 Jahren abzuschließen. Vor allem in kleineren und mittleren Firmen befürchtet Müller „erhebliche Probleme“.

Besonders akttraktiv scheint die Altersteilzeit bei den Arbeitnehmern aber auch nicht zu sein. In der hessischen Chemieindustrie wurde die Altersteilzeit bereits im Frühjahr 1996 vertraglich gesichert. Von den rund 77.000 Beschäftigten erklärten sich bislang nur 423 bereit, bis Ende 1997 frühzeitig aus dem Beruf auszusteigen. Eines hat die neue Pilotregelung aber erreicht. Die Stimmungslage zwischen Gewerkschaftern und Arbeitgebern ist locker wie selten zuvor. Annette Rogalla

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen