: Der Mann, der Feuer-Fritze war
Ein Umweltsenator dankt ab, der um nichts so sehr fürchtete wie um seine Medienwirksamkeit, und der Kritiker für Ökochonder hält. Ein Nachruf auf Fritz Vahrenholt ■ von Heike Haarhoff
Die Stunde der Unterschrift ist gekommen. 150 Augenpaare richten sich auf das Rednerpult in der Hamburger Handelskammer. Nur Fritz Vahrenholt mag sich nicht setzen. Lieber schlendert der schlanke SPD-Mann durchs Publikum, schäkert scheinbar zufällig hier, witzelt dort und verliert nie den Blickkontakt zu den Fernsehkameras. Denn heute, Ende Mai dieses Jahres, soll sein Tag sein. Erstmals hat er, der Hamburger Umweltsenator, die Bürgermeister seiner acht Partnerstädte aus drei Kontinenten an einen Tisch gekriegt. Hier sollen sie sich „zum Leitbild einer nachhaltigen, umweltgerechten und zukunftsfähigen Entwicklung“bekennen. Die „Hamburger Erklärung zur Agenda 21“soll in die Annalen eingehen. Unter „V“wie Vahrenholt.
Doch die Show wird ihm vermasselt: Der Delegierte aus dem südfranzösischen Marseille verweigert die Unterschrift. Schwärmt statt dessen, daß „in Marseille das Klima so mild ist“. Behauptet, daß man folglich „auch nicht Energie sparen muß“. Hat die Lacher auf seiner Seite. Und Vahrenholt? Tobt. Zischelt Beleidigungen. Das mühevoll einstudierte Diplomatenlächeln gefriert und zeigt den, der nun flugs den Saal verlassen wird: einen persönlich beleidigten Senator.
Als solcher hat sich Vahrenholt vorgestern abend nun auch aus der Hamburger Regierungspolitik verabschiedet. Er werde „einem neuen Senat nicht mehr angehören wollen“und sich statt dessen „erneut meiner beruflichen Herkunft als Chemiker“zuwenden, schrieb er in einem zweiseitigen Brief an „lieber Jörg, lieber Ortwin, lieber Henning“. Auch sein Bürgerschaftsmandat will der 48jährige niederlegen. Seine sozialdemokratischen Parteikollegen Jörg Kuhbier (Landesvorsitzender), Ortwin Runde (designierter Bürgermeister) und Henning Voscherau (designierter Ex-Bürgermeister) dürfte der Abgang acht Tage nach der Wahl getroffen, nicht aber gewundert haben: Fritz Vahrenholt fühlt sich schlichtweg verkannt.
Verkannt von einer Parteispitze, die ihn als Umweltpolitiker wegen seiner – unbestreitbaren – Fachkompetenz schätzte. Ihm aber auch nicht mehr zutraute. Das Bürgermeisteramt zum Beispiel. Wagemutig hatte Vahrenholt nach dem Rücktritt des ihm politisch nahestehenden Voscherau vergangene Woche seinen Karriere-Jeton auf das Amtsnachfolge-Roulette gesetzt. Ohne zu ahnen, daß SPD-Landeschef Jörg Kuhbier und selbst der SPD-Rechte Eugen Wagner bereits rien ne va plus signalisiert hatten, und die Wahl längst auf Finanzsenator Ortwin Runde gefallen war.
Denn wie hätte einer wie Vahrenholt Integration zwischen streitenden Parteiflügeln stiften sollen, geschweige denn in einer Großen Koalition, für die er als Vertreter des rechten Parteiflügels stets eingetreten war? Schon in seinem eigenen Ressort hatte der promovierte Chemiker Schwierigkeiten, in Konfliktsituationen moderat zu reagieren: Wie Rumpelstilzchen soll er sich Mitarbeiterberichten zufolge aufgeführt haben, als vor zwei Jahren der ehemalige Truppenübungsplatz Höltigbaum als Bau- statt als Naturschutzgebiet ausgewiesen wurde.
Was blieb Vahrenholt also, als zurückzutreten, bevor er zurückgetreten wurde? In einer von ihm gefürchteten rotgrünen Koalition, das war gewiß, würde er kaum auf einen grünen Senatoren-Zweig kommen. Denn viele mögen sich nicht mit ihm versöhnen. Das liegt weniger an der Halbherzigkeit, mit der Vahrenholt in seiner sechsjährigen Amtszeit beispielsweise regenerative Energien förderte.
Er ist vielmehr so einer, dem man selbst nach der zehnten gemeinsam durchzechten Nacht nicht über den Weg traut: Als Anfang 1996 aufflog, daß der Senator zwar eindringlich an die Hamburger Haushalte appellierte, den gerade abgeschafften Kohlepfennig einem Klimaschutzfonds zu spenden, die Umweltbehörde selbst aber keine müde Mark dazuzahlte, verübelte Vahrenholt den Medien die Veröffentlichung monatelang. „Enttäuscht“zeigte er sich, und mochte manchem nicht mehr die Hand geben.
Denn so schlecht er einstecken konnte, so sehr fürchtete er um seine Medienwirksamkeit, über Jahre mühevoll aufgebaut: Ein Sielanschluß, der ohne ihn in Betrieb ginge? Eine neue Dahlienart, die von einem anderen als ihm getauft würde? Die Beerdigung einer Fledermaus, der Vahrenholt nicht das letzte Geleit gesprochen hätte? Undenkbar. Wo Kameras waren, war auch Fritz Sommerlochsenator Vahrenholt präsent.
Politische Kritik – ob an seiner Zustimmung zum Transrapid, zur Zerstörung Altenwerders oder seiner zögerlichen Haltung zu strengeren Ozonwerten – kam ihm einer persönlichen Schmähung gleich. In seiner Selbstwahrnehmung war Vahrenholt immer noch der unerbittliche Kämpfer für eine bessere Umwelt: Lange bevor er 1984 Staatsrat der Umweltbehörde und 1991 deren Senator wurde, verfaßte er Pamphlete wie „Seveso ist überall“. Kann so einer irren?
Mehr noch als an die eigene glaubte Vahrenholt an die Unfehlbarkeit der Technik. Wer das Leuchten in seinen Augen gesehen hat, als er im Frühjahr 1995 die neue Rauchgasreinigungsanlage in der Müllverbrennungsanlage Stellinger Moor in Betrieb nahm, wußte: Vahrenholt war überzeugt, das Dioxin-Problem gelöst zu haben – mit Filtern. Abfallvermeidung dagegen blieb ihm zur Freude von Industrie und Wirtschaft ein Fremdwort. Statt dessen baute „Feuer Fritze“, wie seine Kritiker ihn betitelten, Müllöfen en masse. Legitimerweise, wie er fand: Denn so konnte sich Hamburg von der umstrittenen Mülldeponie Schönberg in Mecklenburg-Vorpommern unabhängig machen.
Jeder, der an seiner Politik zweifelte, wurde öffentlich als „Ökochonder“beschimpft. Bis sich selbst Vahrenholts umweltpolitische Parteikollegin aus Niedersachsen, Monika Griefahn, wunderte: „Was ist nur in den Mann gefahren?“Seine Technikgläubigkeit machte auch vor Atomkraftwerken nicht halt und ihn selbst zu deren Verfechter: Als Aufsichtsratsvorsitzender der Hamburgischen Electricitätswerke trug Vahrenholt nicht gerade zum Ausstieg bei und verstieg sich gar zu der Behauptung, das AKW Krümmel komme als Ursache für die gehäuften kindlichen Leukämien in der Elbmarsch „nicht in Betracht“.
Und so kann denn auch sein Fazit nicht anders lauten: „Das Ergebnis sozialdemokratischer Umweltpolitik kann sich sehen lassen.“
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