: Ärztliches Hilfsversagen
■ Prozeß gegen Ärzte, die einen Kollegen nach Selbstmordversuch mit Gift nicht retteten
In einem Prozeß wegen fahrlässiger Tötung haben die beiden angeklagten Mediziner gestern vor dem Amtsgericht Tiergarten ärztliches Versagen bestritten. Ein Psychiatrieprofessor der Charité war in der Nacht zum 9. Dezember 1992 nach Einnahme einer Überdosis Tabletten in der Rettungsstation aufgenommen worden und starb nach mehrmonatigem Koma im August 1993.
Der Professor soll die Ärzte selbst auf seine Tablettenvergiftung hingewiesen haben. Er war aber nicht dementsprechend behandelt, sondern in die Psychiatrie verlegt worden. Deshalb wird dem Aufnahmearzt angelastet, eine Entgiftung versäumt zu haben. Der 50jährige Internist hatte den Professor nach eigenen Angaben untersucht und Labortests veranlaßt. Die Analysen hätten eine „leichte Überdosierung“ ergeben, sagte der Arzt. Der Patient erschien ihm nicht beeinträchtigt. Mit dem Kollegen aus der Psychiatrie seien regelmäßige Kontrollen vereinbart worden. Der Professor war wegen eines weiteren Suizidversuchs kurz zuvor aus der Klinik entlassen worden.
Der Stationsarzt der psychiatrischen Abteilung betonte, er habe beim Pflegepersonal „klar und deutlich“ stündliche Nachtkontrollen angeordnet. Den Professor habe er darauf hingewiesen, daß es eine unangenehme Nacht mit ständigem Wecken werden würde. Der Kollege aus der Rettungsstation habe ihm zuvor wiederholt versichert, mit dem Patienten sei alles in Ordnung.
Laut Anklage hätte der Professor bei korrekter Behandlung mit großer Wahrscheinlichkeit überleben können. Der Mann wurde in jener Nacht bewußtlos, sein Atem stand still. Aus dem Koma ist er nicht mehr erwacht. Der Internist mit 16jähriger Erfahrung auf der Rettungsstation erklärte unter Tränen, daß ihm der Fall sehr leid tue. Seiner Auffassung nach sei der Patient auf der anderen Station nicht ausreichend überwacht worden. Der Prozeß wird nächste Woche fortgesetzt. dpa/taz
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