: „Ich bin nicht wirklich ein Rebell“
■ An ihm gäbe es keine unentdeckte Seite mehr, sagte Roy Lichtenstein im März in New York. Über die Unmittelbarkeit der ungemischten Farbe
taz: Was ist für Sie erschreckender – als Rebell oder als Held angesehen zu werden?
Roy Lichtenstein: Muß ich mich entscheiden? Ich weiß nicht, ob ich ein Held bin, aber ich bin nicht wirklich ein Rebell. 1961 schien ich einer zu sein, weil sich das, was ich machte, so völlig vom Abstrakten Expressionismus unterschied, den damals die meisten malten – mich selbst eingeschlossen. Ich habe aber das Neue damals schon als Teil der Kunsttradition gesehen und nie gedacht, ich stellte mich gegen irgend etwas. Es ging mir höchstens darum, Dinge aus der Malerei zu entfernen, die nicht mehr zeitgemäß waren: sichtbare Pinselstriche zum Beispiel oder dicke und dünne Farbschichten, die kalligraphischen Linien, die damals in waren. Meine Striche sahen aus, als wären sie mit dem Kugelschreiber gezogen. Und ich sah die Verbindung zum Beispiel zu japanischen Drucken, bei denen auch die Farbe nicht wirklich ausformuliert ist und die Linie eher vorsichtig eingesetzt wird.
Hat die Kunst damals durch Sie etwas verloren oder gewonnen?
Die Kunst verlor damals einiges an Malerei, dafür gewann sie aber anderes. Die Unmittelbarkeit der ungemischten Farben zum Beispiel, die nicht nur die Bilder leuchtender machten. Sie ließ auch die Atmosphäre zwischen dem Betrachter und dem verschwinden, was er sah. Meine Werke sind keine Bilder von etwas, sie sind selbst Dinge. Deshalb arbeite ich immer auch mit zweidimensionalen Vorlagen. Jede Kunst ist zweidimensional. Natürlich versuchen manche Künstler, die Illusion der Dreidimensionalität zu schaffen. Aber das ganze ästhetische Problem ist zweidimensional. Es geht darum, Zeichen in einer bestimmten Entfernung und Richtung zu plazieren. Das habe ich mit meinen Rasterpunkten so klar und deutlich gezeigt, wie vielleicht niemand vor mir. Natürlich entsteht durch unterschiedliche Größe der Eindruck von Entfernung und Tiefe. Tatsächlich spielt sich aber alles auf der ebenen Fläche der Leinwand ab. Wenn ich 1961 tatsächlich ein Rebell war, dann dadurch, daß ich mit diesem Problem sehr wenig traditionell verfahren bin und stärker als die anderen deutlich gemacht habe, daß es um Zweidimensionalität geht. Wichtig ist nicht, daß es immer auch so aussieht, aber daß ich es deutlich gemacht habe.
In Ihren Retrospektiven gibt es immer eine Abteilung mit dem Titel „Pre-Pop-Painting“. Wird es von Ihnen jemals auch „Post-Pop- Paintings“ geben?
Ich weiß nicht. Einige meinen, ich sei gar nicht mehr Pop, andere sagen, ich sei es noch. Die Frage scheint noch immer sehr interessant. Ich denke, meine Sicht ist dieselbe, die sie war. Das letzte reine Cartoon-Bild, das ich gemalt habe, ist 1965 entstanden. Aber ich habe seither immer wieder Cartoon- Elemente in anderen Werken eingesetzt. Wahrscheinlich sind es aber nach wir vor die ungemischte Farbe und die Rasterpunkte, die bestimmte Aussagen über die Dinglichkeit der Kunst machen.
Sie greifen dabei immer wieder auf alte Vorlagen aus den 60ern zurück...
Die aktuellen Comics sind ganz anders – viel wilder. In den 60ern waren das so nette kleine Kästchen mit Geschichten, die jeweils mit „und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage“ endeten. Und es gab eine bestimmte Strenge der Farbe, die es heute nicht mehr gibt. Ich möchte, daß meine Werke standardisiert aussehen, daß die Männer und die Frauen und die Gegenstände darauf standardisiert aussehen.
Verfolgen Sie die aktuelle Kunstszene?
Ich habe davon nicht genug gesehen, um wirklich etwas darüber sagen zu können. Ich habe auch kaum Kontakt zu jungen Künstlern. Ich bekomme nur mit, daß der Druck ungeheuer groß ist, etwas schaffen zu müssen, das vorher noch nicht da war, um etwas Bedeutendes auszusagen. Das führt natürlich zwangsläufig zu so etwas wie einem eigenen Stil. Aber ich glaube ja, daß es darum gar nicht geht. Es geht darum, in kleinen Schritten etwas deutlich zu machen, das vorher noch niemand gesehen oder jedenfalls noch niemand in dieser Weise klar deutlich gemacht hat. Diese kleinen Ergänzungen, mit denen Cézanne aus dem Postimpressionismus den Kubismus gemacht hat.
Bedauern Sie nachträglich, daß Sie bestimmte Bilder verkauft haben?
Nicht wirklich. Diese Bilder sind ja alle noch in der Welt. Und weil ich höre, daß immer mehr Sammler es sich inzwischen aus steuerlichen Gründen nicht leisten können, diese Werke weiterzuvererben, werden wahrscheinlich ohnehin irgendwann alle meine Bilder in irgendwelchen Museen hängen – vorausgesetzt, die wollen sie haben.
Gilt es dabei noch, eine bislang unbekannte Seite an Ihnen zu entdecken, eine Werkphase, die noch nicht gezeigt wurde?
Das bezweifle ich. Alles ist gezeigt, alles ist enthüllt. Interview: Stefan Koldehoff
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