: So wäre Bremen zu sanieren
■ Dr. Reinhard Hörstel ist ein renommierter Bremer Anwalt. Seit 1956 arbeitet er in seiner Kanzlei, „an die 100.000 Bremer habe ich juristisch beraten oder vertreten“, sagt der heute 70jährige Jurist stolz. Diverse größere Wirtschaftsverfahren waren auch dabei. Im Frühjahr hat Hörstel, einer der „zornigen alten Männer“der Stadt, sich seinen Ärger in einem gründlichen, 50seitigen Memorandum von der Seele geschrieben: Wie der Staat Bremen finanziell zu sanieren wäre, das treibt ihn um. Seine Antwort: Es geht,es würde gehen, wenn die Politiker nur wollten und den Staat nach den Grundsätzen organisieren würden, nach denen jedes größere Unternehmen wirtschaftlich funktioniert. Das bedeutet schlicht: Personalabbau um 30 Prozent. Völlige Neuorganisation des Wirtschaftsressorts. Und ein Finanz-, Wirtschafts- und Häfensenator Josef Hattig, der die wesentlichen Fäden in einer Hand hält. Die Vorstellungen von Dr. Hörstel sind so radikal und werden von den Amtsträgern als so frech empfunden, daß der Finanzsenator UlrichNölle ihm schlicht nicht geantwortet hat. Wir sprachen mit Dr. Reinhard Hörstel über sein Konzept und seine Hoffnung auf Hattig.
taz: Sie haben in Ihrer 50 Seiten dicken Untersuchung sehr weitreichende Vorschläge gemacht zu den Möglichkeiten des Städtestaates Bremen, zu sparen.
Reinhard Hörstel: Man kann sicherlich 30 Prozent des Personals einsparen.
Der Bremer Senat verweist stolz darauf, daß es seit Jahren eine Personalentwicklungsplanung (PEP) mit systematischen Kürzungen gebe, und die Mitarbeiter klagen ...
Die Klagen der Behörden sind ja durchsichtig. Es geht darum, Referate zu schaffen, dann gibt es Posten. Und wenn ein Wirtschaftszweig in seiner Bedeutung abnimmt wie etwa die Fischerei, führt das keineswegs dazu, daß die Zahl der Beamten abnimmt, die sich als dafür zuständig empfinden. Die Behörden schleppen sich weiter und suchen sich neue Aufgaben, das ist das parkinsonsche Wachstumsgesetz.
Die Wirtschaftsbehörde ist klein und überschaubar – wessen Stelle könnte weggekürzt werden?
Man müßte die Behörde vollkommen umstrukturieren. Wenn ich frage, was die Behörde leisten soll und muß, dann kann ich die Behörde danach strukturieren. Allein in dem kleinen Wirtschaftsressort könnten nach meinen Analysen 55 Bedienstete eingespart werden. In Bremen ist es aber anders, es gibt einen ungeheuren Wust an Aufgaben, die sich die Behörden zum Teil selber stellen, ohne Rücksicht und ohne Überblick, die in anderen Ressorts genauso gemacht werden und wieder zu neuen Stellen führen. Aufgrund der Verdoppelungen haben die Behörden dann vor allem mit sich selbst zu tun. Ein typisches Beispiel für die Untätigkeit des Wirtschaftssenators Perschau: Ich hatte ihn darauf hingewiesen, daß der Gesamthafenbetriebsverein Jahr für Jahr 1,5 Millionen Mark Subventionen bekommt und diese Mittel dafür benutzt, mittelständischen Betrieben Aufträge zu Dumpingpreisen wegzunehmen. Perschau hat nicht einmal geantwortet. Das zeigt deutlich, daß die Behörde nicht mangels Ausstattung ineffektiv arbeitet, es fehlt der Wille.
Die Wirtschaftsbehörde hat einen großen privatwirtschaftlich erscheinenden Apparat für Vergnügungsveranstaltungen ...
Das sind alles völlig wirtschaftsfremde Unternehmungen. Die gehörten in den Bereich des Kultursenators, und dann müßte man fragen, ob Bremen sich das leisten will. Der Wirtschaftssenator hat mit einem Musical gar nichts zu tun. Er hat auch nichts zu tun mit einem Space- oder Ocean-Park oder sonst dergleichen. Er müßte sagen: Es ist nicht meine Aufgabe. Es ist ja geradezu grotesk. Der Space- und der Ocean-Park ist ja eine gehobene Schwimmbad-Veranstaltung. Für die vorhandenen, einfachen Bäder, die von der Bevölkerung angenommen sind, fehlt das Geld, nur um dann ein luxuriöses zu gründen für ähnliche Zwecke.
Der Wirtschaftssenator sagt: Das sind einmalige Ausgaben.
Das ist erfahrungsgemäß fraglich, das kann der Unternehmer gar nicht leisten. Sonst würde er ja nicht zum Wirtschaftssenator kommen und die Hand aufhalten. Typische Beispiele sind der Konkurs der Firma Dewers oder die Firma Trasco ...
... die macht Nobelkarossen ...
... die Panzerung von Nobelkarossen. Beide Gesellschaften wurden gestützt, obwohl sie nie Gewinne gemacht haben. Es wurde auch nicht untersucht, ob sie in Zukunft gewinnträchtig arbeiten könnten. Dazu fehlte es schon am Sachverstand bei der Hibeg oder bei einer dieser anderen Wirtschaftsförderungsgesellschaften. Und es fehlt auch an der sachkundigen Überprüfung. Die Hibeg setzt in dieser Lage immer die Treuarbeit ein, das ist die Gesellschaft, die mit so großem Erfolg den Aufsichtsratsmitgliedern der Vulkan-AG vorgerechnet hat, daß das alles läuft. Die hat ja niemals geschrieben: Der Konkurs ist nur so lange abwendbar, wie Bremer Gelder hineinfließen oder Ost-Gelder veruntreut werden können. Es wird nicht sorgfältig überprüft, und die C+L-Treuarbeit hat mehr den Interessen des Auftraggebers, also Hibeg oder Wirtschaftssenator, gedient, indem sie die Dinge beschönigt hat.
Das war bei Trasco auch so?
Ja.
Wieso macht die Behörde das?
Das ist eben unverständlich. Man weiß nicht, warum sie da Geld geben und da nicht.
Beim Vulkan war ein nachvollziehbarer Grund, daß es um Arbeitsplätze ging.
Bei Dewers und bei Trasco gab es solche Gesichtspunkte auch. Dewers mußte etwa 30 Prozent zuviel Leute beschäftigen, das wurde verlangt von dem Wirtschaftsressort. Und es hat sich niemand darum gekümmert, ob die Leute wirtschaftlich arbeiten.
Beim Vulkan aber ging es um den sozialverträglichen Abbau von Arbeitsplätzen. Der Wirtschaftssenator begleitet die Werftenpolitik seit Jahrzehnten mit viel Geld.
Das beginnt mit der Krise der Use Akschen, diese Werft war viel moderner ausgestattet als der Vulkan und wurde stillgelegt. Dann dachte man, eine Werft müssen wir staatlich erhalten, es geht nicht, daß Bremen ohne Werftbetrieb ist. Das war der Grundfehler von Anfang an. Wenn Industriebetriebe sich nicht halten können, dann hat es keinen Sinn, sie künstlich mit Subventionen über Wasser zu halten. Diese Subventionen kann man sich irgendwann nicht mehr leisten, dann bricht der Betrieb zusammen. Mir kann niemand erzählen, das habe er nicht wissen können.
Die größte selbständige Abteilung im Bereich Wirtschaft ist die Häfenbehörde, sogar mit einem eigenen Senator.
Die brauchen wir nicht als selbständige Behörde.
Jetzt will der Senator sogar seinen Amtssitz nach Bremerhaven verlegen.
Zur Rettung seiner Person. Dann ist er ein Kind Bremerhavens und damit unantastbar. Aus Proporzgründen. Es ist ein Verbrechen, was dafür an Steuergeld vergeudet wird.
Wieso braucht die Häfenbehörde keinen Senator und auch keinen Staatsrat?
Sie braucht einen Behördenleiter, aber nicht so viele davon. Bremen ist doch kein riesiges Land. Da sind viele überflüssige Posten. Diese drei senatorischen Behörden müßten zusammengeführt werden. Wenn es drei Behörden gibt, führt das nur zu einem großen Gezerre zwischen den Behörden. Genauso gibt es ja zwei Hafenämter, eines in Bremen, eines in Bremerhaven. Völlig sinnlos, alles doppelt.
Der Finanzsenator muß demnächst nach Bonn fahren. Dort ist eine Arbeitsgruppe eingesetzt worden, weil die Finanzminister der Länder die Sanierungshilfen nicht verlängern wollten. Was wird da passieren?
Ich nehme an, daß die Bremen kräftig auf die Finger hauen werden. Die Vorstellung, die Herr Nölle auch behauptet hat, die anderen könnten gar nicht anders als zahlen, die wird sich nicht durchsetzen lassen, weil Bonn selbst kein Geld mehr hat. Man wird den Bremern genau vorrechnen, was alles überflüssig ist.
Was?
Zum Beispiel 30 Prozent der Personalkosten. Ich habe das nachgewiesen für drei Behörden, Wirtschaft, Häfen, Bau. Die Behörden haben immer noch sechs oder mehr Ebenen. Das wird überall mit drei Ebenen gemacht, sogar bei der katholischen Kirche. Das ist das Stichwort lean management. Die Handelskammer in Hamburg hat dasselbe erklärt. Das wäre erforderlich. Kompetenzverstärkung derjenigen, die etwas tun und die endgültig entscheiden. Und die verantwortlich sind. Es ist ja nicht einsichtig, daß ein Beamter nicht zur Kasse gebeten wird, wenn er Steuern verschwendet hat.
Bremen gibt, anders als das Saarland, viel Geld aus der Sanierungshilfe aus für Investitionen und Wirtschaftsförderung.
Bremen hat ständig unrentablen Firmen die Grundstücke zu überhöhten Preisen abgekauft, um auf diese Weise die Firma ein zweites Mal zu fördern. Manchmal sogar ein drittes Mal. Bei Trasco hat Bremen der Firma sogar das Mobil-Oil-Gelände mit dem kontaminierten Boden verkauft mit der Begründung, Trasco brauche ja keinen Keller. Kaum war das passiert, hat Trasco Schadensersatzansprüche geltend gemacht mit der Begründung, der Bauantrag werde wegen des Kellers nicht genehmigt. In Wirklichkeit hatte Trasco auf Anraten Hallers gar keinen Bauantrag gestellt. Trasco brauchte überhaupt keinen Keller – das war nur der Vorwand, um Trasco als Schadensersatz erneut Geld zuzuschieben. Diese ganzen Subventionen sind Hallers Spezialität. Haller hat dann gesagt, wir müssen Schadensersatz zahlen, weil der Bauantrag nicht genehmigt wird, der auf sein Anraten gar nicht gestellt worden war.
Man behauptet ja, die Subventionen müßten fließen, sonst gingen die Firmen ins Umland.
Die Unternehmen richten sich nicht nach der Subvention, sondern nach der Rentabilität. Siemens schwimmt im Geld, das ist doch gar nicht nötig, denen ein paar Millionen zu schenken. Wenn die Wirtschaftsverwaltung ordentlich arbeiten würde, dann würde niemand auf die Idee kommen zu sagen, ich mache einen Baustopp – wie es durch die Firma Weserwohnbau passiert ist an der Schlachte – , wenn der Staat mir nicht soundsoviel gibt.
Die Wirtschaftsbehörde zeigt sich erpreßbar?
Ja. Weil sie sachliche Argumente schon gar nicht mehr kennt. Und sie gibt den Leuten selber Hinweise, wie sie mit irgendwelchen Argumenten wieder Geld bekommen könnten.
Das ganze Land Bremen scheint erpreßbar zu sein. Für jeden Arbeitsplatz geht der Bürgermeister meilenweit.
Das ist diese sinnlose Einstellung zu der Sache.
Hat die Koalition mit ihrer breiten Mehrheit und insbesondere Bürgermeister Scherf eine Chance, etwas für Bremen zu tun?
Theoretisch ja. Bisher zeigt er sich wenig überzeugend und ideenarm.
Er gilt ja als kommunikativ, überzeugend...
Sicherlich, Ausstrahlung auf die Leute in der Nähe hat er. Aber er hat keine Idee, was anzupacken ist. Es wäre doch seine Aufgabe, den Sozialetat zu überprüfen.
Da kennt er sich aus.
Warum dann kein Wandel? Das wäre seine Aufgabe. Ich bezweifle, daß er sich irgendwo auskennt. Da er ja keine Akten liest ... Das kann doch nicht gehen, daß ich Bürgermeister bin in Bremen, Sozialsenator lange war, und keine Ahnung habe von dem, was ich treibe. Ist von ihm einmal irgendwo gesagt worden: Das müssen wir ändern!!? Das ist alles so oberflächlich, nur auf Popularisierung ausgerichtet. Eine Null, wirtschaftspolitisch. Er weiß nichts, ohne präzise Arbeit kann keine Wende zu positiven Erfolgen führen.
Er redet doch viel, ist überall präsent ...
Er redet und lacht und strahlt und küßt, aber sonst doch nichts.
Sie haben Ihre Studie auch dem Finanzsenator Nölle zugeschickt. Was hat der Ihnen geantwortet?
Nichts. Bedankt hat sich der Herr Hattig, auch die Finanzsenatorin Frau Fugmann-Hesing aus Berlin. Die hat Nölle angerufen und auf meine Studie angesprochen. Aber der kannte sie gar nicht ...
Haben Sie Hoffnungen auf die CDU in Bremen?
Nein. Bisher nicht. In der CDU ist niemand, der Dinge wirklich anpackt. Was hat sich denn wirklich geändert, seitdem die CDU in die Regierung eingetreten ist? Viele in der Bevölkerung haben darauf gehofft. Man hat aber neue Pöstchenjäger bedient.
Mit dem langjährigen Becks-Chef und Präses der Handelskammer, Josef Hattig, haben wir bald einen neuen Wirtschaftssenator. Der hat erklärt, er wolle seine eigene Handschrift hinterlassen in diesem SRessort. Sie kennen ihn gut – was erwarten Sie von ihm?
Die Vorstellung, daß ein Wirtschaftssenator in Bremen wirklich eine eigene Handschrift hinterlassen könne, ist eine große Ankündigung aus drei Gründen: 1. Über die Mittel verfügt nicht der Wirtschaftssenator, sondern der Senator für Finanzen.
2. Das ganze Wirtschaftsressort setzt sich eben aus dem Senator für Finanzen, dem Senator für Wirtschaft und Außenhandel und dem Häfensenator zusammen.
Wird ein Senator in diesen Rahmen eingebunden, dann kann er nur dann eine neue Handschrift hinterlassen, wenn er in Abstimmung mit den anderen Senatoren seine Vorstellung verwirklichen kann. Es wäre daher sehr zu begrüßen, wenn vor allem die Behörden für Finanzen und Wirtschaft hervorragend zusammenarbeiten würden und am gleichen Seil ziehen könnten. Ich hoffe nur, daß es Herrn Finanzsenator Hattig gelingt, seine von ihm schon als Präses der Handelskammer vertretenen Auffassungen durchzusetzen.
Hattig sollte beide Ämter bekommen?
Das würde ich sagen. Er ist Wirtschaftsfachmann, er ist sein ganzes Leben auf diesem Gebiet tätig gewesen. So wäre es wünschenswert, wenn er umfassende Vollmachten erhält. Das ist nicht gegen Herrn Perschau gerichtet, sondern würde auch meiner Idee entsprechen, die Zahl der senatorischen Dienststellen zu verringern.
Warum muß Hattig Ihrer Ansicht nach über das Finanzressort hineinregieren? Das Wirtschaftsressort entscheidet im Moment über hunderte Millionen des Investitionssonderprogramms und damit über die Zukunft des Landes.
Nein, der Wirtschaftssenator kann nur in Zusammenarbeit mit dem Senator für Finanzen, letzt-endlich aber auch der Bürgerschaft, über die Gelder verfügen. Das ganze Sonderprogramm gehört im übrigen noch einmal auf den Prüfstand. Hier sind zuviele Wunschvorstellungen in die Planung eingelaufen. Die Planung muß dringend überarbeitet und ausgerichtet werden auf die schon früher von der Handelskammer befürworteten Projekte. Keineswegs kann es aber kurzerhand weitergehen wie bisher, nämlich die Durchführung der Planung und Ausführung durch den Staatsrat Herrn Frank Haller beim Wirtschaftsressort und die Herren Dr. Keller und Herrn Dannemann beim Senator für Finanzen. Bisher wurde nur gemacht, was diese drei Herren absprachen.
Überschätzen Sie Herrn Hattig nicht maßlos? Josef Hattig hat keine Erfahrung in dem politischen Geschäft und in der Leitung einer Behörde. Kann man erwarten, daß er da wenigstens in diesem Dreigestirn seine Handschrift hinterläßt?
Das würde ich ihm zutrauen, er müßte sich dann von diesen Herren distanzieren und müßte sehen, daß er mit einem Finanzsenator zusammenarbeitet, der ihn hierbei vorbehaltlos unterstützt. Die Anwendung wirtschaftsleitender Erfahrung auf Behörden ist im übrigen nur wünschenswert. In den USA ist es selbstverständlich, in Deutschland nahezu unbekannt.
Könnte Perschau das?
Das weiß ich nicht. Da er selbst sagt, er verstehe von Finanzen nichts, ist er auf Gedeih und Verderb auf die Empfehlungen dieser beiden angewiesen, wenn es nicht zu einer, wie zu hoffen bleibt, festen Zusammenarbeit zwischen Herrn Hattig, Herrn Perschau und der Handelskammer Bremen kommt.
Fragen: Klaus Wolschner
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