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Ein Sprung in der Zeitmessung

■ In der Künstlergeschichte Tango Lesson zeigt Sally Potter Lektionen in Sachen Tanz und Regie

Der Tisch muß sauber sein, die Bleistifte exakt ausgelegt, bevor sie mit dem Schreiben beginnen kann. Sally ist Regisseurin und im Begriff, ein Drehbuch zu entwickeln. Wir sehen den Tisch von oben, das weiße Blatt, die leere Fläche, die auch ein Fußboden oder eine Bühne sein könnte, und wissen sofort: Kreativität ist ein empfindlicher und höchst anstrengender Prozeß.

Ausdrücklich ist Tango Lesson, der neue Film von Sally Potter (Orlando, 1993), eine Künstlergeschichte, eine hermetisch abgesteckte Bewegungsstudie in den engen Grenzen ausgewiesener Biographien. Die Regisseurin Sally Potter spielt die Regisseurin Sally, die den Tangotänzer Pablo trifft. Pablo ist Pablo Veron und einer der größten Virtuosen des Fachs. Wer, wenn nicht diese beiden (die Tangostunden sowie die sich daran anschließenden Auftritte haben tatsächlich in dieser Besetzung stattgefunden), wäre besser geeignet, das Geben und Nehmen der Lektionen aufeinander abzustimmen?

Bereits in der zweiten Stunde – unterteilt ist der Film in Lektionen, die der Sprache des argentinischen Tanzes gemäß zugleich Kapitel des Geschlechterdramas sind – ist die Schülerin dem Geheimnis des Tangos auf der Spur. Und einer metaphysisch überhöhten Liebe. Sublimierung heißt hier das entsprechende psychologische Stichwort: Anstatt geheimen Körperwünschen nachzugehen, weisen sich Sally und Pablo gegenseitig in die Geheimnisse der jeweils eigenen und anderen Könnerschaft ein. Liebe als Kunsterziehung und experimentelles Machtspielchen. Das Leidenschaftliche plaziert sich in Tango Lesson auf der salbungsvollen Blicklinie künstlerischer Ausdrucksstärke und konkurrierender Selbstentwürfe. Was die Beziehung notgedrungen weniger subtil und geheimnisvoll aussehen läßt, als es die Versunkenheit und die nahen Gesichter der Tänzer weismachen wollen.

Immer wieder müssen philosophische Anklänge und kryptisch gesetzte Redeteile helfen, dort Dauer und Bestand zu erzeugen, wo allein Tanz und Augenblick genügen dürften. Die Intimität dagegen teilt sich, und das bleibt eine der naheliegensten und schönsten Ideen des Films, vor allem in der Wahl mancher Schauplätze mit. Im Schwarz/Weiß, das farblich an alte Fotografien und Heimweh erinnert, sind es die Salons von Buenos Aires, welche die Figuren und ihre anstrengend elaborierten Fassaden verschlucken und einer geschmeidig und ungeschnitten gleitenden Kamera vertrauen. Dann kommt die Sequenz wie ein reigenhaftes Schweben daher, wie ein kleiner Sprung in der Zeitmessung.

Elisabeth Wagner

Holi

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