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■ Arne Andersen über sein neues Buch „Der Traum vom guten Leben“„Auferstehen aus Ruinen – mit Konsum“

taz: Sie beschreiben in Ihrem Buch „Der Traum vom guten Leben“ die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. Darüber, daß die willigen Vollstrecker von ihren Taten nichts mehr wissen wollten, ist wenig bis nichts zu erfahren. Warum haben Sie diese Vergangenheit nicht thematisiert?

Arne Andersen: Weil das nicht mein Anliegen war. Daß der Nationalsozialismus keine pure Hitlerei war, wurde bereits hinlänglich analysiert.

Was heißt es denn, eine Alltagsgeschichte der Deutschen nach 1945 zu schreiben?

Die Geschichte einer Gesellschaft wahrzunehmen, die sich mühsam auf ein demokratisches Miteinander zu verständigen gelernt hat. Für ein solches Projekt wäre ein politischer Zugang viel zu oberflächlich gewesen.

Was ist falsch daran festzustellen, daß die Deutschen nach der Kapitulation nicht in Büßerhemden herumliefen?

Weil so verstellt würde, was die meisten Deutschen nach Kriegsende empfanden – im Alltag eben, so banal und vielleicht schrecklich das auch klingen mag.

Wie war es um die Gemüter unserer Eltern und Großeltern damals bestellt?

Zunächst haben sie Hunger, Vertreibung, Chaos, Not und Mangel wahrgenommen. Das war ihr Ausgangspunkt. Nichts weiter. Im Alltag bedeutete dies die Sehnsucht, es einmal wieder besser zu haben. Mit Konsum sollte die Vergangenheit vergessen gemacht werden. Auferstehen aus Ruinen – mit der Hoffnung auf Konsum.

Ist das schon ein Traum vom guten Leben?

Ja, und zwar auf auf scheinbar unpolitische Weise. Kein Wunder, daß Konrad Adenauers Bekenntnis „Keine Experimente“ erfolgreich die Seelen der Wähler ansprach.

Mit Utopien – sozialdemokratischen oder kommunistischen – wollten die Deutschen nichts zu tun haben?

Nein, keine Spur. Davon hatte jedenfalls die Mehrheit nach den braunen tausend Jahren genug. Politik war etwas, von dem man die Finger besser ließ. Einzig materielle Werte zählten – etwa im Sinne von „Schaffe, schaffe, Häusle baue“. Das konnten die Deutschen schon immer gut – fleißig arbeiten und den Mund halten: Da wußten sie, daß das nicht verwerflich ist.

Und so schufteten sie fürs Wirtschaftswunder.

Wie man weiß, weltweit am konsequentesten. Die Hoffnung, aus schlechten Verhältnissen mit Arbeit aufzusteigen, sich irdische Güter zu erlauben, von denen frühere Generationen nicht einmal wußten, daß es sie geben könnte, war mächtiger als jede Ideologie.

Das Versprechen auf Konsum ...

... war die entscheidende Klammer, die die Deutschen auch ihre demokratische Bundesrepublik respektieren ließ. Über die Befriedigung von Wünschen, die einst nur Reichen vorbehalten blieb – Reisen, Essen, Textilien, moderne Haushaltsgeräte –, war auch jeder echten Renaissance nationalsozialistischen Gedankenguts der Weg versperrt. Letztlich ist daran auch die DDR kaputtgegangen.

Ist das der Grund, warum die 68er hierzulande auf erbitterten Widerstand stießen?

Ja, in anderen Ländern wurden die moralischen Debatten Ende der sechziger Jahr teilweise sehr gelassen als Streit um Modernisierung wahrgenommen. Aber bei uns stand ja auch mehr auf dem Spiel: Die Auseinandersetzung mit dem NS-Regime, also mit den Vergangenheiten aller, die umstandslos zu Konsumdemokraten mutierten.

Wie sehen Sie, der als 68er den Fünfzigerjahremuff kritisierte, ihre Vorfahren heute?

Das hängt von meiner Stimmung ab. Meistens glaube ich, daß der Traum vom guten Leben legitim war. Und ist: Was ist schon gegen Konsum an sich einzuwenden? Und wer will jemandem, der nie shoppen konnte, ernsthaft vorschreiben, daß der Kauf materieller Güter schlecht ist?

Ihre Generation haßte den Konsum.

Wie wir wissen, war das pharisäerhaft. Außerdem glaube ich mittlerweile, daß das Versprechen auf Konsum pädagogischer war als jedes antinazistische Umerziehungsprogramm per Zeigefinger es hätte sein können – eine Gesellschaft zu demokratisieren.

Konsum gleich Demokratisierung?

Sicher nicht, aber für mich ist eine demokratische Gesellschaft unvorstellbar, die sich auf erzwungenen Verzicht gründet. Und mal nebenbei: Die Deutschen haben in den Fünfzigern gelernt, daß private Träume wie eben jene vom Konsum vergnüglicher sind – und, wie man heute sagt, Fun, Spaß versprechen.

Seit Anfang der achtziger Jahre predigt das grüne Milieu Askese. Auch in Ihrem Buch klingt der Wunsch nach Verzicht an.

Nicht im Sinne von Entbehrung. Aber daß ewiger Konsum irgendwann eine Leere hinterläßt, ist nicht zu bestreiten. Ich plädiere für einen Luxus, der in keinem Kaufhaus zu haben ist: Zeit, also Abschied von Hetze und Termindruck.

Viele Männer können immer noch nicht anders: Arbeiten bis zum Umfallen.

Sie können vom väterlichen Erbe eben nicht lassen. Ihre Kinder lernen hoffentlich, daß das kein gutes Leben verspricht.

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