: Eine verrückte Reise in die Unwirtlichkeit
Im Südosten Boliviens, wo Che Guevara vor 30 Jahren von Militärs erschossen wurde. Begegnungen mit Zeitzeugen und Menschen vor Ort ■ Von Anne und Bernd Suchalla
Sie halten uns alle für loco, für verrückt. Wir sehen es an ihren Augen, in denen das ungläubige Staunen aufflackert, wenn wir sagen: „Wir wollen das Auto für die Ruta del Che mieten!“ Und dann nennen sie uns Preise, die selbst uns Europäern den Schweiß auf die Stirn treiben.
Schon die Reiseplanung hat offenbar ihre Tücken. Ausgerechnet in einer Pizzeria stoßen wir auf die Lösung unseres Problems: Flaco, der reisebegeisterte Besitzer, ist das Pizzabacken leid und bietet uns seinen Jeep an. Zusammen mit seinem Freund Emilio, einem Kunstschreiner, will er uns als Chauffeur begleiten. Und dann ist da noch Ximena, deren Familie aus der Region stammt, in der der Comandante vor 30 Jahren unterwegs war. Sie kennt die Route und Zeitzeugen.
Bereits am nächsten Nachmittag verlassen wir Sucre auf der Suche nach den Spuren des wohl populärsten Guerilleros aller Zeiten. 1.500 Kilometer liegen vor uns auf unbefestigten Pisten, vorbei an Steilhängen, in die die Schlammlawinen Spuren der Verwüstung gezeichnet haben. Bereits um 18.30 Uhr ist es stockdunkel, und die Nacht verschluckt die Details rechts und links des Wegrandes. Das Fahrzeug quält sich über Bodenwellen, heult in Schlaglöchern auf und peinigt uns durch unerträgliches Gerüttel.
Wie unwirtlich die Landschaft hier in der bolivianischen Pampa ist, wie karg der Boden! Ausgetrocknete Flußbetten lassen den Wassermangel ahnen. Plötzlich weiß ich, was die Pampa ist. Und von hier aus wollte Che Guevara die Weltrevolution beginnen? Eine Reise in diese Unwirtlichkeit ist wirklich nur eins: loco.
Erschöpft erreichen wir das kleine Dorf Lagunillas. Nach 22 Uhr wird hier selbst der Generator abgestellt. Was machen wir bloß in diesem 500-Seelen-Nest, wo sind die Spuren des Comandante? Im Hof der Bürgermeisterei dürfen wir schließlich unser Nachtlager aufschlagen. Emilio öffnet eine große Sardinenbüchse mit der Machete, und wir teilen unser letztes Brot, ein paar Paprikaschoten und trinken singani (Traubenschnaps) gemischt mit Coca-Cola. Poncho negro nennt Emilio das Gebräu verschmitzt, weil es uns auch in den kommenden Nächten von innen erwärmen wird.
Scheinbar zeitlos mischen sich am anderen Morgen die ersten Sonnenstrahlen mit der trägen Atmosphäre einer vergessenen Westernstadt, die auf nichts mehr wartet und die auch nie auf etwas gewaret hat. „Natürlich war Che Guevara hier!“ erzählt uns der Bürgermeister mit beredter Gestik, als wir uns mit knurrenden Mägen verabschieden wollen. „Kommen Sie, kommen Sie! Wir machen eine Pressekonferenz auf dem placa major, vamos, adelante, los, gehen wir!“ Innerhalb weniger Minuten erwacht das Dorf aus seinem Dornröschenschlaf. Kleine Jungen schleppen Stühle, und von allen Seiten schlendern Dorfbewohner auf den kleinen parkähnlichen Platz. Auf unsere Fragen hin beginnen die Alten, ihre Geschichte mit und über die Guerilleros zu erzählen. Don Christian reparierte den Jeep des Guerilleros Coco Peredo, der vorgab, Schweinezüchter zu sein. Doña Hilda verkaufte den „netten jungen Leuten von der Finca“ unendlich viele Eier und Lebensmittel, nicht ahnend, daß damit mindestens 20 Männer versorgt wurden, und Miguel Espinoza wurde zum Guide der bolivianischen Armee, der die Militärs schließlich zur Casa Calmina, der Finca und dem Zentrallager der Guerilleros in Nancahuazu, führte.
Unbarmherzig brennt die Vormittagssonne auf unsere kleine Versammlung herunter, die Menschen vergessen über den Geschichten um den Comandante Zeit, Hunger und Durst. Doña Hilda hält ein vergilbtes Zeitungsblatt der Presencia vom 1. April 1967 in den Händen. 30 Jahre jünger sind unsere Gesprächspartner auf den Fotos von damals. „1967 hat sich die Welt für uns interessiert!“ meint der Bürgermeister. „Wir sollten hier endlich ein Che- Guevara-Museum bauen! In Lagunillas begann das, was in Vallegrande endete!“
Bevor wir uns aber auf den Weg nach Vallegrande machen, wo Ches Leichnam der Weltöffentlichkeit präsentiert wurde, haben wir mehr Glück mit den Bewohnern von Lagunillas als seinerzeit die Guerilleros. Wir erhalten eine Einladung zum Frühstück mit Pfannkuchen, Käse und Kaffee. Dann liegen wieder zwölf Stunden Pampapiste vor uns – die Unendlichkeit von knapp 300 Kilometern, bis wir endlich an dem Platz stehen, wo „alles endete“. Es ist die Wäscherei des Krankenhauses Señor de Malta. Kein roter Stern bezeichnet die Stelle, auch kein Komet, wie seinerzeit in Betlehem.
Es ist ein schäbiger, seltsam unspektakulärer Ort, an dem Ches Leiche aufgebahrt wurde. Drei Wände, ein Dach und ein steinernes Doppelwaschbecken, das war die Kulisse für das Foto eines besiegten Mannes, das Weltgeschichte machte. Gleichzeitig aber fand hier die seltsame Metamorphose vom Revolutionär zum Heiligen statt. Und deshalb sind wir auch nicht alleine in der lavanderia. Die 86jährige Doña Margarita besucht die „Wohlfahrtskapelle“ ihres Heiligen gelegentlich und ist überzeugt davon, daß die Seele Ches ihren Sohn von einer schweren Krankheit geheilt hat. Der Revolutionär ist zum Wundertäter der Armen avanciert, ein Glaube, der hier offensichtlich von vielen geteilt wird. Auch Doña Margaritas zwergwüchsige Freundin Virgila Cabrita glaubt an Ches allmächtige Seele. „Laßt sie uns doch besuchen fahren“, schlägt die alte Frau vor, weil sie unsere Neugierde längst gespürt hat. Und so entwickelt die Spurensuche nach dem heiligen Comandante eine ungeahnte Eigendynamik, die uns im Jeep enger zusammenrücken läßt. Für die betagte Doña Margarita, die als Bäuerin damals zwei der Guerilleros eine Nacht lang einen Unterschlupf gewährte, beginnt mit uns ihre vielleicht letzte Reise in die eigene Vergangenheit.
Wieder sticht die Sonne, als wir uns zu Fuß den Pfad durch die Quebrada del Churo suchen. Ein zu beschwerlicher Weg für Doña Margarita, die im Jeep auf uns warten muß. Eine halbe Stunde geht es durch unwegsames Gelände bergab, in dem Che Guevara und seine Leute ihre letzten Tage verbracht haben, bevor der kleine Trupp endgültig aufgerieben wurde. Dann stehen wir vor drei windschiefen Lehmhütten und ihrer kleinen Bewohnerin. Wir haben Doña Margaritas Freudin Virgilia Cabrita gefunden.
„Er war der stärkste Mann, der je hier vorbeigekommen ist. Er hätte die Dinge ändern können“, meint die 42jährige. Ihre Großmutter hätte Che und seinen Leuten ein paar Hühner, eine Ziege und Milch verkauft, kurz bevor die Armee ihn fing. „Drei Jahre nachdem sie ihn erschossen haben gab es hier nach schweren Regenfällen einen Erdrutsch. In der Erde blieb ein Loch zurück, in dem jetzt immer frisches Wasser steht. Das ist das Wunder von Che, denn vorher gab es hier nur eine bittere Quelle“, erklärt die höchstens einen Meter große Frau. „Deshalb glaube ich an ihn. Das hier ist seine Erde“, stellt sie mit Nachdruck fest, während sie mit einer kleinen Tüte voller Cocablätter in ihren Händen knistert. Trost gegen Müdigkeit, Hunger und Verzweiflung.
Wir bestellen Grüße von Doña Margarita und lassen Orangen und den Wasserkanister als Geschenk da – Kostbarkeiten an diesem einsamen, armseligen Ort. „Die Seele von Che wird euch helfen“, sagt Virgilia zum Abschied und verliert sich bald wie ein Pünktchen in der Unendlichkeit der Schlucht, die Che Guevara zum Verhängnis wurde.
Es ist bereits dunkel, als wir mit dem Jeep in La Huigera eintreffen, dem Ort, an dem Che erschossen wurde. Auf Doña Margaritas Geheiß hin klopfen wir an die Tür der kleinen Krankenstation. „Hier können wir vielleicht bleiben“, hofft unsere ortskundige Reisebegleiterin. Und wirklich öffnet einer der Krankenpfleger die Tür. Offenbar ist Doña Margarita keine Unbekannte für ihn, und so lädt er sie ein, die Nacht in dem einzigen Bett der Krankenstation zu verbringen. Auch wir dürfen bleiben. Wieder teilen wir uns Brot, Käse, Früchte und poncho negro zum Abendessen. Dann holt Flaco seine Gitarre aus dem Jeep: „Aprendimos a querte...“ singt er – Wir lernten dich zu lieben, Comandante Che Guevara. Es ist der Anfang der kubanischen Hymne auf den großen Revolutionär, und die Melodie spukt schon seit Tagen durch unsere Köpfe. Jetzt aber steht der Liedtext hier an der Wand unter den Fotos eines glücklichen Che aus besseren Tagen. Dann zieht sich jeder von uns müde in eine Ecke zurück, nicht ahnend, daß wir diesmal unsere Schlafmatten auf wirklich historischem Boden ausrollen. Erst am nächsten Morgen erfahren wir es, als Flaco sich bei unserem Gastgeber nach dem alten Schulgebäude erkundigt, in dem Che nach einer langen Nacht voller Verhöre erschossen wurde. „Dies hier war die alte Schule“, sagt der Krankenpfleger ruhig und zeigt auf die Stelle, wo noch immer Flacos Schlafsack liegt. „Er wurde genau hier erschossen, wo Sie geschlafen haben.“ Niemand sagt etwas, nur Doña Margarita murmelt ein Gebet.
Es gibt etliche Reiseveranstalter, die gerade auch in Bolivien diese Tour anbieten. Wert auf die Begegnung mit den Menschen legt: avenTOURa, Löwenstraße 3–7, 79098 Freiburg, Tel: (0761) 29 60 60, Fax: 296 06 99. Kosten für eine fünftägige Tour incl. Jeep, Reiseleitung, Übernachtung pro Person 990 DM ohne Flug, mit Flug ab Deutschland 1.590DM
Für Leute, die sich die Tour in Bolivien selbst organisieren wollen, empfehlen wir den Kontakt über das Deutsch-Bolivianische Kulturinstitut in Sucre: Instituto Cultural Boliviano Aleman (ICBA), Leiter: Dr. Gerd Mielke, Fax: (00591) 64 52 091
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