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Spiel, Satz und Sieg

■ Bremer Klavierwettbewerb wurde in der Glocke entschieden

Wie rührt uns doch die Qual unserer Mitmenschen, zum Beispiel bei den Joungster-Wettbewerben von „Jugend musiziert“: stolpernder Gang; störrische Hände, die sich frech zu unvorteilhaftem Eigenleben entscheiden; verstohlene Blicke zu unsichtbaren Wurzelzwergen an der Decke – und dann endlich die Erlösung in der Musik; doch wenn sich dann der erste Fehler anschleicht und zubeißt, schießt Blut in die Wangen.

Nichts, aber auch nicht die geringste Spur von solcher Aufregung war zu spüren als Isabel Gabbe, Viktoria Lakissowa und Peter Laul in der Glocke den Endkampf des Bremer Klavierwettbewerbs ausfochten. Königinnen schreiten aufs Podium, rücken ihren Stuhl zurecht - gelassen, wie man Geschäftliches regelt - begrüßen mit zackiger Pfote den Konzertmeister, nicht zu arrogant, nicht zu devot, im rechte Mittelmaß, versenken sich in das Orchesterspiel, wippen sich ein, in Beethovens c-moll Klavierkonzert und Mozart.

Alle drei wühlen sich beeindruckend in die Musik. Natürlich wühlen sie sich durch verschiedene unter- und überirdische Gänge. Beim Russen Laul sind die Sechzehntelketten aus dicken, satten Perlen geknüpft. Gnadenlos setzt er auf seinen Kraftvorteil. Im zweiten, ruhigen Satz aber wird er lakonisch. Da funktioniert die Magie des klaren Anschlags nicht mehr. Kein Bangen, kein Sehnen. Das ist dagegen die Stärke von Viktoria Lakissowa. Jeder Ton strebt sehnsüchtig zu seinem Nachbarn. So etwas kann bei ihrem langsam genommenen langsamen Satz nicht jeder. Die Nordwestdeutsche Philharmonie zum Beispiel vermag es nicht. Nachteil für Lakissowa. Die auf Impulsivität setzende Art von Isabel Gabbe dagegen liegt diesem Orchester sehr: Wirklich toller Ausdruck im Verhältnis zu den technischen Möglichkeiten. Isabel Gabbe hat von den Dreien den geschlossensten Gefühlskosmos: Versenken und zupacken, fordern und nachgeben. Nur: Publikum und Juroren fehlt das Spektakuläre und Umwerfende. Dritter Platz. Lakissowa wurde zweite, Laul erster. In Wahrheit zeigten alle Vollkommenes in ihrer jeweiligen Art. Doch was nützts?

Der fünftbeste von 100 Juristen, Ärzten, Betriebswirten hat beste Chancen auf Bewunderung und die Villa am See. Der zweitbeste von 1000 Pianisten ist ein armes Schwein, verurteilt zu mäßig bezahlten Konzerten in mäßig besuchten Musikvereinen. Nur die absolute Weltspitze lohnt. Die haben alle drei noch nicht erstürmt. Und dennoch beglücken sie alle drei absolut. Zum Weinen. bk

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