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Quadratur des Nerds

■ Rupert Parkes alias Photek geht kaum aus, wird von Türstehern nicht durchgewunken - und ist trotzdem Kultstar der Drum 'n' Bass-Szene

Willkommen in der Gegend des popmusikalischen Universums, wo trotz höchster Hipsterdichte nur die Musik regiert. Hier regieren Leute wie Rupert Parkes alias Photek, 25 Jahre alt.

Der Mann an den Samplern ist das Blueprint des Bedroom-Producers jener sagenumwobenen Spezies von Produzenten, die in ihren Hinterzimmern sitzen und jene nie gehörten Rhythmen aushecken, die dann als Dubplates (Acetatpressungen) unter den Nadeln der DJs landen.

Leute, die, wenn sie dann doch einmal auftreten, nicht ohne weiteres vom Türsteher durchgewunken werden, weil sie nicht so aussehen, als seien sie die Stars des Abends, der Grund, warum sich eine zweihundert Meter lange Schlange von der Türe auf den Bürgersteig windet.

Rupert Parkes ist wirklich die Unauffälligkeit in Person. Ein nerd. Schmächtig, rote Haare, grüne Augen, Sommersprossen, grauer Pullover, schwarze Hose, weiße Turnschuhe und, neben Roni Size, der heißeste Drum 'n' Bass-Produzent der Saison. Er ist ausgestattet mit einem Major-Vertrag über fünf Alben mit Virgin – bei voller künstlerischer Freiheit und mit dem Recht, sein kleines und unabhängiges Photek-Label weiterzubetreiben.

Dort fing alles an. Denn zwischen all den Drum 'n' Bass-Produzenten und Kleinlabels, die eine Maxi nach der anderen in die Umlaufbahn schossen, immer neue Projektnamen ersannen und ansonsten hinter ihren schwarzen Scheiben und grünen Monitoren verschwanden, war Photek schon damals eine der Ausnahmen.

Zwar bekam man auch ihn nicht zu Gesicht, doch seine Platten hatten Profil. Nicht nur, daß sie in Zeiten weißer und schwarzer Hüllen bereits gestaltete Cover hatten, er führte auch fernöstliche Gongs ein, das Sausen von Schwertern aus Martial-Arts-Filmen, und als es galt, seine Sounds möglichst düster zu halten, nahm Photek beinahe alle Beiklänge weg und reduzierte seine Musik auf Drum und Bass.

Das klang dann fast wie Jazz, was in der punkfreien Zone des Drum 'n' Bass in etwa gleichbedeutend war mit Fusion. Man raufte sich die Haare und fragte sich, darf der das, oder kommt jetzt das besiegt geglaubte Siebzigergegniedel zurück? Grund genug für Virgin jedenfalls, extra für ihn ein Sublabel zu gründen, dessen Name „Science“ Programm ist.

Rupert Parkes legt Wert auf die Feststellung, daß er seine Musik vor allem und immer noch als House versteht. Bitte was? House? Soweit das Auge in die einschlägige Presse blickt, heißt es, Photek- Musik sei die experimentelle Musik für das nächste Jahrtausend, und jetzt ist es einfach House? Nein, es gehe ihm um „Erinnerung“.

Die besten Erinnerungen habe er an die Jahre zwischen 1988 und 91, die Zeit, als House, Techno, Garage und Breakbeat sich noch nicht widersprachen, als DJs wie Randall, Fabio oder Jumpin' Jack Frost die Clubs und Raves rockten. Die Zeit vor der großen Spezialisierung, vor dem großen Split in unendlich viele Subszenen mit eigenen Stilen. Heute sei das zerbrochen, deshalb gehe er auch nicht mehr viel aus. Grundsätzlich gehe solch eine Umgruppierung mit ihm natürlich in Ordnung, nur so, wie die Dinge jetzt liefen, nicht. Es fehlten der Deep House und das Garage-Element in den Tracks.

Ist Rupert Parkes auf der Suche nach der verlorenen Zeit? Wie Marcel Proust, der berühmte literarische Bedroom-Producer aus dem Paris der zwanziger Jahre? Die Erinnerung an das goldenen Zeitalter der Jugend, als die Pillen noch nach dem geilen Kick schmeckten und das Bumbumbum noch die Verheißung war, als Antriebskraft? Noch einmal 12 Inch lang das alte Rave-Feeling?

Nein, die Tanzfläche habe er nicht im Kopf, wenn er produziere. Und mit musikalischen Einflüssen sei das ohnehin so eine Sache. So etwas ändere sich doch von Tag zu Tag. „Wenn das Wetter schlecht ist, bleibe ich eben im Bett.“ Wo man sich als Bedroom-Producer ohnehin am wohlsten fühlt, weil die ganze Elektronik in Reichweite ist. „Na ja, ich schaue auch mal aus dem Fenster.“

Doch was hat es dann mit den klaustrophobischen Sounds in manchen seiner Stücke auf sich, sind das wenigstens Ansätze von Paranoia? Fehlanzeige. Keine Verschwörungstheorie, keine Ufos, nur ein „jeder hat seine eigene Interpretation der Dinge“.

Aber warum dann dieses Cover der „Hidden Camera“-Platte, wo ein paar Jungs und ein regennasser Bürgersteig auf einem grünlichen Monitor dem Betrachter Unbehagen bereiten?

„Wenn man jemanden durch eine Überwachungskamera beobachtet, wirkt er automatisch verdächtig, selbst wenn er nur auf den Bus wartet.“ Das war's. Das sei ihm aber auch erst klargeworden, als die Platte schon fertig war.

Kein Wunder, daß bei so niedriger Glamourdichte die Projektionslinsen ausgepackt werden. Da wird Rupert Parkes von der Spex mit auf einen Waldspaziergang genommen, um noch einmal mit ihm darüber zu reden, wie das denn ist mit dem Pharaoh-Sanders-Sample im Intro eines Tracks. Oder er wird vom britische DJ-Magazin JockeySlut auf die Autorennbahn von Brands Hutch geschleppt, wo man ihn in einem Wagen ein paar Runden drehen läßt. Ein Mann, dessen Cousin in den Sechzigern das 24-Stunden-Rennen von Le Mans gewann und der einen Porsche besitzt, muß doch Speed im Blut haben. Aber Rupert Parkes spielt nicht einmal „Wipe Out“, das Rennfahrer-Videospiel für die Sony-Playstation, zu dessen Soundtrack er ein Stück beigesteuert hat. Er habe einfach keine Kopie des Spiels geschickt bekommen, und losgehen und eine kaufen, das müsse nicht sein. Bleibt also nur die Musik. Und die ist auf „Modus Operandi“ weniger tanzbar als je zuvor. Wer zu solch komplexen Beats tanzen will, muß schon im Quadrat springen. Ob es der Major-Deal ist, der auf das Publikum für Alben zielt, die eben keinen Club beschallen müssen, sondern nur ihr Wohnzimmer und dazu den Sound des kommenden Millenniums wollen? Oder wie ist es sonst erklärbar, daß Independent-Produktionen eingängiger sind als die auf die Massen abzielende Major- Platte? Tobias Rapp

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