: NC und Tests drosseln Bewerberstrom
Gestern begann an den meisten Universitäten das Wintersemester. Immer mehr Bewerber müssen Zugangsprüfungen absolvieren. Auswahlgespräche haben nach Meinung von Psychologen geringen Wert ■ Aus Berlin Noel Rademacher
Schön war die Zeit, als man als Student der Ur- und Frühgeschichte noch durch die leeren Gänge seines Instituts schlurfen konnte, in zärtlichen Gedanken an den Brontosaurus versunken, während es drüben bei den Informatikern wie bei Rockkonzerten zuging: berstende Hörsäle, ohnmächtige Mädchen (Sauerstoffmangel), Mikrophonausfälle.
Heute fürchtet man aber offensichtlich, daß sich die Studentenmassen bald auch auf das Paläolithikum stürzen werden. Keinen anderen Schluß läßt jedenfalls die Entscheidung der Berliner Humboldt-Universität (HU) zu, den Studiengang Ur- und Frühgeschichte ab diesem Wintersemester erstmals mit einem internen Numerus clausus (NC) zu belegen – zusammen mit sieben weiteren Studiengängen.
Das heißt, die Hochschule begrenzt die Anzahl der Studienplätze und sucht sich ihre Studenten selber aus – unter Maßgabe der Abiturnote. Ein alter Hut bei den überlaufenen Studienplätzen in Medizin oder Jura. Aber Afrikawissenschaften, Sinologie und Skandinavistik? „Etwa ein Viertel der Studienanfänger benutzen unser Fach als Parkstudiengang“, behauptet Kathrin Bromber, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Afrikanistik an der HU. „Wenn die Studenten bei der Studienberatung sagen, sie kommen nur, weil nichts anderes mehr frei ist – da bekomme ich Magengeschwüre“, gesteht sie.
Die Politik, mittels NC die Studentenzahlen einzudämmen, wird vom neuen Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Klaus Landfried, durchaus unterstützt: Wenn von der Politik nichts als Sparauflagen kommen, dann müsse man halt „beim Hochschulzugang bremsen“. Extremes Beispiel ist die Uni Hamburg, wo der „totale NC“ herrscht.
Größeren Spielraum zur Auswahl von Studienbewerbern bietet ein neues Landeshochschulgesetz den Universitäten Baden-Württembergs. Vierzig Prozent der Bewerber für NC-Fächer dürfen durch örtliche Eignungstests bestimmt werden. Das entsprechende Pilotprojekt läuft seit einem Semester an der Heidelberger Uni: In Teilstudiengängen der Biologie, Psychologie und Sportwissenschaften wurden im Frühjahr erstmals Eignungstests durchgeführt, die die jeweiligen Fachbereiche selbst entwickelt haben.
Das Auswahlverfahren im Nebenfach Psychologie besteht aus drei Stufen: der schriftlichen Bewerbung, bei der Berufserfahrung und soziales Engagement Punkte bringen, einem standardisierten „Intelligenztest“ und schließlich einem viertelstündigem Gespräch mit zwei Professoren des Fachbereichs. Kirsten Pistel, Vertreterin der studentischen Fachschaftskonferenz, befürchtet eine Abwehrtung des Abiturs zugunsten von „Prüfungsbulimie“:
„Du frißt tagelang das Wissen in dich hinein, um es in wenigen Minuten wieder auszukotzen.“
Feiner drückt es die „Deutsche Gesellschaft für Psychologie“ in einem Bericht über das Heidelberger Projekt aus. Die Ergebnisse eines solchen Auswahlgesprächs seien von „geringem prädikativem Wert“. Wenn das Auswahlverfahren auf solche Gespräche verkürzt werde – wie im Fach Biologie geschehen – habe das „fatale Konsequenzen“ für die Objektivität der Ergebnisse.
Die Tests haben noch einen weiteren – nicht unwesentlichen – Haken: den außergewöhnlichen Verwaltungsaufwand. Im Abschlußbericht der Heidelberger Universitätsverwaltung wird darauf hingewiesen, daß man für die Durchführung der Tests „alle anderen Arbeiten rigoros zurückstellen“ mußte und ein weiteres Testverfahren „wohl nicht mehr verkraftet“ hätte.
Dennoch bezeichnet der Rektor der Uni Heidelberg, Peter Ulmer, die Pilotrunde als „erfolgreich“ und erklärt mit bescheidenem Stolz: „Andere Hochschulen interessieren sich für unsere Erfahrungen.“
Tatsächlich hat die Idee der Eignungstests durch die bevorstehende Novellierung des Hochschulrahmengesetzes mittlerweile auch bundesweit eine neue Dimension bekommen. Im August hatten sich Bildungsminister der Länder auf einen Gesetzesentwurf geeinigt, der ausdrücklich hochschuleigene Auswahlverfahren zuläßt. Rund 20 Prozent der Bewerber für Studienplätze mit bundesweitem NC dürfen sich die Universitäten danach in Zukunft selbst aussuchen.
Doch auch wenn Zukunftsminister Jürgen Rüttgers (CDU) noch im Sommer nächsten Jahres mit der Verabschiedung des Gesetzes rechnet, steht die bundesweite Einführung solcher Tests noch in den Sternen: „Eingangsprüfungen können wir uns personell gar nicht leisten“, winkt der Präsident des deutschen Hochschulverbandes, Hartmut Schiedermair, ab. Wegen der angespannten Haushaltslage sei die flächendeckende Einführung von Eignungstests „nicht aktuell“, läßt die Freie Universität Berlin verlauten, Deutschlands größte Hochschule.
In Hamburg wurden die Auswahlgespräche bei den Medizinertests sogar gerade wieder abgeschafft. Offizielle Begründung: „zu aufwendig und sinnlos“. Der Kommentar eines Professors, der die Gespräche mit durchführte: „Gottseidank sind wir das los!“
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