piwik no script img

Wegweiser in zwei Richtungen

Die Bundestagsfraktion kritisiert das von der Partei verfaßte Wahlprogramm als zu klassenkämpferisch. Beim Thema Umweltschutz ist man sich eher einig  ■ Von Markus Franz

Bonn (taz) – Seit Montag heißt es bei den Bündnisgrünen ausdrücklich: Feuer frei auf den Entwurf des Wahlprogramms! Nach der Auseinandersetzung über die Außenpolitik steht nun die Wirtschaftspolitik zur Diskussion. Die Realos aus der Fraktion loben das Programm zwar als das bisher modernste überhaupt, fühlen sich aber übergangen und beklagen, daß die Autoren teilweise „offenbar wenig“ Sachverstand hätten. Eins tröstet alle Beteiligten dabei ungemein: Das Wahlprogramm ist nur ein erster Entwurf. Kontroversen, so sagte es Parteisprecher Jürgen Trittin, sind erwünscht.

Das Wahlprogramm wurde federführend von der Partei erarbeitet. Die Fraktion durfte zu dem Entwurf nur Stellung nehmen. Die finanz-, wirtschafts- und haushaltspolitischen Sprecher der Fraktion stoßen sich vor allem an Sätzen aus dem Wahlprogramm wie: Die Kohl-Regierung „predigt – einer Sekte gleich – den Kapitalismus als Erfüllung der Geschichte“ oder „Kranke werden gegen Gesunde ausgespielt, Junge gegen Alte, Männer gegen Frauen, Deutsche gegen AusländerInnen, Arbeitslose gegen Erwerbstätige...“.

Die finanzpolitische Sprecherin Christine Scheel wünscht eine Einschätzung ohne Klassenkampfparolen. Auf eine „Neiddiskussion“, ähnlich wie sie von der SPD angezettelt werde, könne sie verzichten. Man könne zum Beispiel nicht pauschal feststellen, die großen Unternehmen sind die Bösen und die kleinen die Guten.

Im Änderungsantrag der Fraktion zum Wahlprogramm steht: „Es ist zwar ein beliebtes Argument, den Schwarz-Gelben Konzept- und Tatenlosigkeit vorzuwerfen, darum wird das Argument aber nicht richtiger. Sie haben sehr wohl ein Konzept, jedoch ein anderes als wir.“ Scheels Forderung: Man müsse sich mit den Schwächen nüchtern auseinandersetzen und die bessere Alternative begründen. Das Konzept der Koalition bestehe darin, über die Kostensenkung zu mehr Beschäftigung zu kommen. Dies werde aber einseitig und auf Kosten der Schwachen verfolgt, untergrabe den gesellschaftlichen Konsens sowie die Zuversicht, die Investoren und Konsumenten benötigten. Die Grünen stellen dem ihr Konzept der ökologischen Wirtschaftspolitik sowie eines solidarischen Umbaus des Sozialstaats entgegen. In den wesentlichen Grundzügen waren sich Partei und Fraktion inhaltlich selten näher als heute.

Anders als Koalition und SPD setzen die Grünen mehr auf Umweltpolitik, als „hervorragendes Instrument“, um der Industrie für Innovation und Forschung Anregungen und Investitionssicherheit zu geben. Umweltschutz wird in erster Linie als Chance und nicht als Belastung betrachtet. Die Erhöhung des Benzinpreises auf 4,30 Mark bis zum Jahr 2005 soll begleitet werden von der Förderung des Dreiliterautos. Dann, so die Rechnung der Grünen, würde Autofahren nicht einmal wesentlich teurer werden. Ein nationaler Umweltplan unter Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen könnte der Industrie wertvolle Anregungen für kommende Bedürfnisse und somit neue Produkte geben. Verbindliche Auflagen reizen zu Innovationen. Der Anteil der Kohle am Energieverbrauch soll schon aus Umweltschutzgründen „deutlich sinken“. Einig sind sich die Grünen auch, der Umverteilung von oben nach unten Einhalt zu gebieten. Als soziale Maßnahme gegen die Armut schlagen sie die bedarfsorientierte Grundsicherung vor.

Bei aller Einigkeit vermissen die Realos aber viele Ansätze konkreter Politik. Als zentralen Punkt empfinden Margareta Wolf und Christine Scheel das Fehlen der Vermögensbeteiligung von Arbeitnehmern. Wer klage, daß die Produktivität immer größer werde, müsse die Arbeitnehmer daran beteiligen. Unverständlich sei auch, warum die Ausbildungsplatzabgabe keine Platz im Programm gefunden habe. Die großen Konzerne müßten durch schärfere Regelungen entflechtet und die existenzgründerfeindliche Handwerksordnung entrümpelt werden. Diskutiert werden soll auch noch eine Wertschöpfungsabgabe – eine Steuer auf Maschinen statt auf Arbeitnehmer. Die Abgabe sollte europaweit erhoben und in einen Sozialfonds eigezahlt werden, woraus die Grundsicherung für ganz Europa gezahlt werden könnte. Wer sagt, daß die Realos nicht visionär sein können?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen