: Rhythmus des Lebens
■ „Stadtzeiten“-Ausstellung im Rathaus
Es sieht aus wie ein geheimnisvoller Strichcode. Auf ein Dutzend Tabellen hat jemand rote Streifen gezeichnet und jeden dieser Streifen fehlerlos um einige Millimeter versetzt.
„Das ist der Dienstplan eines Busfahrers der Straßenbahn AG“, sagt Peter Beier und fügt achselzuckend hinzu: „Der Fahrer weiß schon jetzt, welche Touren er im September 1998 zu fahren hat.“
Für Peter Beier, Kulturreferent der Bremer Angestelltenkammer, ist dieser Dienstplan nur ein besonders deutliches Beispiel für die totale Strukturierung des Alltags. Wie sehr trotz Gleit-, Kernarbeits-, Frei- und Ladenöffnungszeit das Ticken der Uhren den Marschtakt der Tage schlägt, wollen Beier und sein Referentenkollege vom DGB, Manfred Weule, in einer Ausstellung zeigen, die jetzt in der Unteren Halle des Bremer Rathauses zu sehen ist.
Als Beitrag zum „Forum Zeiten der Stadt“, in dem sich VertreterInnen von DGB, Universität und vielen anderen Institutionen über die Stundenpläne der BremerInnen den Kopf zerbrechen, machen die beiden Ausstellungsgestalter das auf den ersten Blick abstrakte Thema anschaulich.
Mit Klanginstallationen sowie mit Zitaten wie dem Erich-Kästner-Spruch „Arbeit ist das halbe Leben und die andere Hälfte auch“werden die BesucherInnen halb ironisch, halb scharfsinnig auf den Rundgang durch zwölf, in Anspielung auf Michael Endes „Zeitdiebe“grau lackierte Stationen eingestimmt.
Angefangen bei einer Wohnküche weiter über Fabrik und Büro bis hin zu einer (Sterbe-) Klinik läßt diese Zeitreise kaum ein Szenario aus, das auch nur annähernd einem Zeittakt unterliegt – einem? Mindestens einem, wie Beier sicherlich anmerken würde.
So ist der Dienstplan des Busfahrers einer Collage mit Fotos von Stefanie Prahl gegenübergestellt, die hastende Fahrgäste auf dem Weg zu Bus oder Straßenbahn zeigt und für den modisch benutzten Begriff „Service“steht. „Auch ich will nach dem Theater gleich in eine Straßenbahn steigen, doch die andere Seite – die der Beschäftigten – wird bei der Dienstleistungsdebatte über sehen“, sagt Manfred Weule.
In die gleiche Kerbe schlägt das Kassenlaufband im Szenario Supermarkt, in dem das Interview mit einer Verkäuferin wiedergegeben wird: „Mit der Änderung der Ladenschlußzeiten machen wir kaum noch gemeinsame Pausen.“Was dem einen nützt, schadet anderen, lautet die simple Botschaft.
Doch den beiden Ausstellungsmachern geht es nicht um vordergründige „Szenen aus der Arbeitswelt“. Sie weisen in ihren inszenierten Alltagssituationen schlicht auf die Vielfalt aller „Zeiten der Stadt“hin.
Gestaltung und Veränderungen sind möglich, wenn man sich der alltäglichen Terminflut bewußt wird: „Warum ist die Hausarbeit so individualisiert? Warum wird eine Schule nur für den Unterricht genutzt?“, fragt Peter Beier rhetorisch und will wie Manfred Weule, daß die „Zeiten der Stadt“zum Gesprächsthema werden und die AusstellungsbesucherInnen nach ihrem Rundgang selbst Antworten finden. ck
„Zeiten der Stadt“bis zum 7. November in der Unteren Rathaushalle; Öffnungszeiten Mo-Fr 10-18, Sa 10-14 Uhr und nach Vereinbarung
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