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Nazibegriff irritiert die Liberalen

■ Wie das Wort "Reichskristallnacht" in einer internen Mitteilung der FDP auftaucht und dort für Aufregung sorgt. Bereits vor einem Jahr wurde eine peinliche Presseerklärung verschickt

Manchmal sind es unglückliche Formulierungen, die Menschen, die über jeden antisemitischen Verdacht erhaben sind, in Schwierigkeiten bringen können. So geschah es jüngst dem Pressesprecher der Berliner FDP, Jan Burdinski, als er sich an einen Artikel für info-intern setzte, einen Rundbrief für FDP-Funktionsträger. In einer Ankündigung für den Landesparteitag am 9. November erinnerte er in ein und demselben Satz an den Tag des Mauerfalls und „der Reichskristallnacht“. Das Wortungetüm, das die Nationalsozialisten zur Verharmlosung der antijüdischen Pogrome im November 1938 erfunden hatten, empörte die Zehlendorfer Bezirksvorsitzende Susanne Thaler. Die 60jährige, selbst Mitglied der Jüdischen Gemeinde, sprach von einer „unglaublichen Sache“. Es sei ihr unverständlich, daß ein Liberaler wie Burdinski die „notwendige Sensibilität“ vermissen lasse. Sie könne es sich nur mit dem Alter des Pressesprechers erklären.

Dem 28jährigen Burdinski ist der Mißgriff höchst peinlich. Er habe sich einfach nichts dabei gedacht – und das sei sicherlich ein „großer Fehler“ gewesen. Auch der Landesvorsitzende Martin Matz, der sich vor zwei Jahren gegen den konservativen ehemaligen Generalbundesanwalt Alexander von Stahl durchsetzte und seitdem im Dauerclinch mit den Parteirechten liegt, ist zerknirscht: „Der Begriff ist ganz sicher unglücklich gewählt.“ Flugs wurde in dieser Woche eine Entschuldigung für den nächsten Rundbrief geschrieben. Korrekterweise, so heißt es dort, hätte es „Reichspogromnacht“ heißen müssen.

Daß die Sprache für das Verhältnis zu den jüdischen Deutschen verräterisch sein kann, ist weithin bekannt. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, erzählt gern von jenem Politiker, der ihn auf einem Empfang auf „seinen Staatspräsidenten“ ansprach – nicht auf den deutschen, sondern auf den israelischen. Ein ähnlicher Lapsus unterlief der Berliner FDP vor gut einem Jahr. Im Zusammenhang mit dem Streit um das Jüdische Museum wurde in einer Presseerklärung von einer „Verständigung von Juden und Deutschen“ gesprochen und Matz mit den Worten zitiert, die Aussöhnung der „Deutschen mit dem jüdischen Volk“ stehe an exponierter Stelle. Die Erklärung war gut gemeint, aber die Wortwahl erboste Susanne Thaler. „Mit der Überschrift wird das Vorurteil verfestigt, daß Juden keine Deutschen sind! Sie haben damit – z.B. mich – mit einem Satz quasi ausgebürgert“, schrieb sie an das damalige Vorstandsmitglied Anna von Halem, die die Erklärung, wohl auch in bester Absicht, formuliert hatte. Matz, der die Verantwortung für den mißratenen Text übernehmen mußte, sind derartige Vorfälle ein Graus: „Gerade bei diesem Thema müssen die Wörter sorgfältig gewählt werden. Andernfalls werden böse Erinnerungen wachgerufen.“ Severin Weiland

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