: Viel Kritik an wenigen Punkten
■ Während sich Verheugen, Struck und andere aus dem grünen Wahlprogramm die Reizthemen herauspicken, rät die Parteizentrale der SPD mit Blick auf 1998 zur Mäßigung: Schließlich habe man auch Gemeinsamkeiten mi
Bonn (taz) – Die Koalition reibt sich die Hände. Das Wahlprogramm der Grünen wirkt nicht nur in Teilen der Öffentlichkeit abschreckend, auch der potentielle Koalitionspartner, die SPD, hat sich bislang fast nur ablehnend geäußert. Die Stellungnahmen der SPD-Politiker zum 60seitigen grünen Wahlprogramm beziehen sich dabei jedoch nur auf das letzte Kapitel zur Außenpolitik sowie auf die Passagen, in denen es um ein Tempolimit und die Erhöhung des Benzinpreises geht.
Dabei tun die SPD-Kritiker derzeit so, als seien die Grünen ein politischer Gegner wie die FDP. Kommentiert werden allein die Reizthemen. Der SPD-Außenpolitiker Günter Verheugen kritisiert die programmatische Ablehnung der Nato-Osterweiterung und die geforderte Halbierung der Heeresstärke als „weit entfernt von der Wirklichkeit“. Der parlamentarische Geschäftsführer, Peter Struck, sieht gar das Ende der Hoffnungen auf einen Regierungswechsel gekommen: „Einen solchen Unsinn wird die SPD nicht mitmachen.“ Struck bezieht sich damit auf die Erhöhung der Mineralölsteuer und ebenfalls auf die Nato-Abschaffung.
Die ist indes selbst innerhalb der Grünen umstritten, die Partei sieht sie ausdrücklich als langfristiges Ziel. Die Empörung über die Erhöhung des Benzinpreises auf 4,30 Mark bis zum Jahr 2005 läßt unberücksichtigt, daß sich SPD und Grüne im Gegensatz zur Koalition immerhin über eine Ökosteuer einig sind. Und das Reizthema Tempolimit – der einzige Punkt des Wahlprogramms, der Bild einen Bericht wert war – war schließlich auch schon unter Genossen heiß umstritten. So hatte sich der Verkehrsexperte Christoph Zöpel unter anderem deshalb 1994 aus dem Wahlkampfteam von Rudolf Scharping zurückgezogen.
Die SPD-Parteizentrale ist selbst nicht ganz glücklich über die Reaktionen der eigenen Leute. Einem gemeinsamen Regierungsbündnis sei damit nicht geholfen. Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering zeigt sich maßvoll: „Programme sind keine Bibel“, sagt er. Er wolle das grüne Wahlprogramm „nicht so hochhängen“. Positiv reagierte gestern der SPD- Umweltexperte Michael Müller. Er sprach von weitgehender Übereinstimmung in den verkehrs- und umweltpolitischen Zielen.
Vielleicht hängt der Konfrontationskurs auch damit zusammen, daß die wenigsten SPD-Mitglieder das Wahlprogramm der Grünen gelesen haben. Die finanz- und haushaltspolitischen Sprecher, Joachim Poß und Karl Diller, wollten es aus diesem Grund nicht kommentieren. Gerade auf ihren Gebieten gibt es aber viele Gemeinsamkeiten mit den Grünen.
Beide Parteien plädieren für eine aufkommensneutrale Steuerreform. Zudem stehen sie für eine größere Verteilungsgerechtigkeit. Nach ihren Vorstellungen sollen die unteren Einkommen entlastet, das Kindergeld und das steuerfreie Existenzminimum erhöht werden. Einig ist man sich auch darin, die Vermögenssteuer wieder aufleben zu lassen, den Solidaritätszuschlag wieder auf 7,5 Prozent zu erhöhen und Millionäre extra zur Kasse zu bitten.
Mit Blick auf die Bundestagswahl empfehlen Parteistrategen den Genossen denn auch schon, die Gemeinsamkeiten mit den Grünen nicht ganz zu vergessen. Markus Franz
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