: Neues Ich via Stirnhubbel?
■ Die Extremperformancekünstlerin Orlan, die ihre Gesichtsoperationen zu künstlerischen Ereignissen erklärt, kommt am Sonnabend ins Lichthaus
Oft ist Kunst eine Frage der Deutung. Michael Jacksons Versuch, auf gesichtschirurgischem Wege seinem Idol Diana Ross nahe zu kommen – im eigentlich doch unbefriedigenden Sinne von ähnlich werden –, gilt als bescheuert, schwach, infantil.
Die zehnjährigen Bemühungen der französischen Performance-Künstlerin Orlan um ein neues Gesicht dagegen werden gemeinhin rezipiert als mutig, radikal, widersprüchlich, wahnsinnig, mit einem Wort gesprochen: hochkünstlerisch.
Der Unterschied liegt in der Tiefe und Dichte der Reflexion über das eigene Tun. Wie immer: Ein armes Schwein ist, wer nicht den angemessenen Erklärungsrahmen für sein Handeln herbeiverbalisieren kann.
Und tatsächlich begleitete Orlan ihre mittlerweile zehn Gesichtsoperationen nicht nur mit seltsamen Showelementen, sondern mit einem Bündel theoretischer Statements. Konsistent sind die beileibe nicht, aber wie könnte das auch anders sein bei einem derart umstrittenen Ding wie dem menschlichen Leib.
So ist es wohl am klügsten, Orlans transformiertes Gesicht zu interpretieren als Austragungsort der Kämpfe zwischen so verschiedenen Dingen wie Schönheitswahn, Selbstbewußtsein, freie Selbstwahl, Schmerzpurgatorium.
Die in Fernsehbeiträgen oder Zeitungstexten zwar selten thematisierte, aber stets unterschwellig präsente Frage, ob diese Frau denn total plemplem sei, wird demgegenüber eher unergiebig und langweilig. Aber auch Ehrfurcht und Bewunderung ist kaum angemessen.
Angetreten ist Orlan 1987 mit der Sehnsucht, Innen und Außen, das Selbstgefühl und die (demgegenüber meist deutlich abfallende) Erscheinung endlich zur Deckung zu bringen. Ihr neues Gesicht setzte sie zusammen aus Ikonen der abendländischen Malerei. Die Stirn sollte stammen von der Mona Lisa, die Kinnpartie von Botticellis Venus.
Daß es dabei um den mythologischen Gehalt der Vorlagen ging und keineswegs um platte Schönheitsideale, behauptete Orlan derart vehement, daß man es ihr schlicht nicht glaubt.
Das Ergebnis war enttäuschend, zumindest soweit TV-Bilder ein objektives Urteil zulassen. Aber schon der griechische Bildhauer Phidias wußte, daß Charisma nichts ist, was zusammenzubasteln wäre, selbst wenn die einzelnen Bausteine noch so optimal sind.
Im Zuge der Postmoderne-Debatten um die Auflösung des Ichs und der – alle Klassengegensätze und Kulturbedingtheiten naiv leugnenden – Idee von der freien und variablen Selbstdefinition begann Orlan schließlich, ihren Körper als Software zu bezeichnen, die frei gestaltbar ist: „Meine Arbeit steht im Kampf gegen das Angeborene, das Unausweichliche des Programmierten, die Natur, die DNS und Gott!“
Wie verlustreich dieser Kampf ist, erfährt man nicht. Die live in Galerien auf aller Welt übertragenen Operationen unter örtlicher Betäubung mit Leseeinlage und modisch gestyltem OP-Personal werden inszeniert als mutiger Tabubruch, nicht als Ort des Schmerzes: Ein Tabu innerhalb des Tabubruchs Auch von Bewegungs- und Empfindungsbeeinträchtigungen, bislang leider noch immer die Kosten der meisten plastischen Operationen, spricht Orlan nicht. Wenig erfährt man, wie das neue Äußere tatsächlich in das Innere hineinwirkt.
Dafür aber verspricht Claudia Reich, auf deren Einladung Orlan nun zum zweiten Mal nach Bremen kommt, eine Künstlerin „voller Humor und Wärme“.
Im Lichthaus werden Aufzeichnungen der Operationen zu sehen sein. Vor allem aber kann sich jeder selbst ein Urteil bilden über Autonomie oder Angepaßtheit dieser vielleicht umstrittensten Künstlerin unserer Tage.
So sehr Orlans Ansatz den einen oder anderen auch faszinieren sollte, dürfen doch aufklärerische Grundsätze nicht in Vergessenheit geraten.
Die Definition der eigenen Person kann nie durch Outfitgestaltung vorgenommen werden, sondern nur durch das Handeln. Vielleicht ist Orlans Radikalität nichts anderes als ein „typisch“„weibliches“Abarbeiten an Fragen der Fassade. Die trotzdem spannende Grenzbegehung findet statt innerhalb der Veranstaltungsreihe „Künstliches Leben/Mediengeschichten“vom Frauenkulturhaus TheaLit. bk
„Dies ist mein Körper...dies ist meine Software“, 18. Oktober, 19 Uhr, Lichthaus
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