: Politikberatung ist nicht gefragt
■ Finanzsenator Perschau (CDU) will Zwangsarbeit für Langzeitarbeitslose statt mehr Geld für Bildung
Wozu sind wir überhaupt noch da? Diese Frage mußte Heinz Möller, Hauptgeschäftsführer der Arbeiterkammer Bremen, am gestrigen Donnerstag auf dem Internationalen Arbeitnehmerkammertag unbedingt noch los werden. An Positionen der Arbeitnehmerkammern zur Arbeitsmarktlage bestehe doch „wahrlich kein Mangel“, trotzdem zeige sich die Politik zunehmend beratungsresistent. Und das liege offenbar nicht nur an den unzureichenden gesetzlichen Grundlagen der Kammerarbeit, sondern auch daran, daß sie schlicht nicht ernst genommen werde.
In Beiträgen zum Thema „Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Einflußnahme in der regionalen Beschäftigungspolitik“hatten sich beide Seiten zuvor darin einig gezeigt, daß die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit europa-, bundes- und landesweit die Hauptaufgabe darstelle - und daß sich das in Bremen besonders schwierig gestalte: Obwohl das Wirtschaftswachstum im ersten Halbjahr 1997 wieder 2,9 Prozent betragen hatte, waren mehr Arbeitsplätze abgebaut worden als im Vorjahreszeitraum; die Arbeitslosenquote liegt mit 16,5 Prozent weit über dem Bundesdurchschnitt.
Während aber Finanzsenator Hartmut Perschau (CDU) dafür vor allem die territorialen Besonderheiten des Stadtstaates verantwortlich machte, kritisierte Möller die Wirtschaftspolitik der Landesregierung. Arbeitsplätze gingen nicht, wie diese glauben machen wolle, deswegen verloren, weil es zu viele Pendler aus Niedersachsen gebe, die Arbeitsplätze besetzten, aber hier keine Steuern zahlten. Vielmehr habe Bremen den Strukturwandel verschlafen und deshalb mit einer „Massierung von altindustriellen Problembranchen wie Werften und Stahl und neuen Krisenbranchen wie der Rüstungsindustrie“zu kämpfen.
Ähnlich unterschiedlich gestalteten sich die Vorstellungen von einer beschäftigungsfördernden Politik. „Wir müssen lediglich dafür sorgen, daß Bürger und Unternehmen im Land bleiben“, erklärte Perschau. Darin seien sich die Koalitionspartner ebenso einig wie in den möglichen Maßnahmen: Grund und Boden billig abgeben, Eigentum fördern und Arbeitskosten verringern. Mit „mehr Kreativität“ließen sich Langzeitarbeitslose schneller zur Arbeit verpflichten und „sinnhafte Zivildienststellen“einrichten. Kombilöhne und Arbeitszeitverlängerungen wie im Öffentlichen Dienst könnten sowohl unternehmerischen Ehrgeiz wecken wie auch den Haushalt bei den konsumtiven Ausgaben entlasten. Auf Dauer allerdings müsse man früher ansetzen und das Bildungssystem an die Anforderungen der Wirtschaft anpassen.
Die Forderung der Arbeitnehmerkammern, neben der Angebots- auch die Nachfrageseite, sprich: die Kaufkraft zu berücksichtigen, wehrte er als „zu kompliziert“, einen Ausgleich für die nach dem neuen Arbeitsförderungsgesetz gekürzten Zuschüsse für die Bildungsarbeit der Kammern und „den Standortfaktor Qualifikation“als „unzeitgemäß“ab. Beate Willms
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen