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Libyen bietet Lockerbie-Opfern Geld an

Durch Briefe an Angehörige gesteht Staatschef Muammar Gaddafi indirekt seine Mitschuld an dem Anschlag auf ein vollbesetztes Passagierflugzeug über Schottland ein. Die internationale Embargofront bröckelt  ■ Von Thomas Dreger

Berlin (taz) – Libyens Staatsführung hat den Angehörigen der Opfer des Flugzeugabsturzes von Lockerbie erstmals Entschädigung angeboten. Gestern berichtete die New York Times, die libysche Vertretung bei der UNO habe Anfang Oktober entsprechende Briefe an die Familien der Opfer geschickt. Darin würden sie aufgefordert, gegen Entschädigung auf eine weitere Verfolgung des Falls zu verzichten. Über Form und Umfang der so angebotenen „Wiedergutmachung“ wurde nichts bekannt.

Bei dem Bombenanschlag auf einen Jumbo der US-amerikanischen Fluggesellschaft Pan Am über der schottischen Ortschaft Lockerbie waren im Dezember 1988 insgesamt 270 Menschen getötet worden. Britische und US- amerikanische Geheimdienstler behaupteten später, zwei namentlich bekannte libysche Agenten seien für den Anschlag verantwortlich. Andere Spuren und Gerüchte führten jedoch nach Syrien und in den Iran.

Weil die libysche Führung die Auslieferung der beiden beschuldigten Geheimdienstler nach Großbritannien verweigerte, verhängte die UNO 1992 Sanktionen gegen das nordafrikanische Land: Libysche Flugzeuge dürfen den heimischen Luftraum nicht verlassen, Waffen sowie entscheidende Teile für die Luftfahrt und die Ölindustrie dürfen nicht mehr nach Libyen exportiert werden.

Die französische Regierung macht die libysche Führung zudem für einen Absturz einer Linienmaschine der Fluggesellschaft UTA verantwortlich. Bei der rätselhaften Explosion über dem westafrikanischen Staat Niger waren im September 1989 170 Menschen getötet worden. Französische Ermittler behaupten, vier Libyer hätten in der Maschine einen Sprengsatz gelegt.

Die jetzt bekanntgewordenen Briefe – sollten sie authentisch sein – bilden ein indirektes Schuldeingeständnis der libyschen Führung für den Anschlag. Bisher hatte Staatschef Muammar al-Gaddafi darauf beharrt, sein Land habe mit dem Attentat nichts zu tun. Noch am Freitag hatten libysche Kläger vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag behauptet, das Embargo gegen ihr Land sei eigentlich ein „Handelskrieg“ der „arroganten USA“ und eine „Destabilisierungskampagne“ gegen Staatschef Gaddafi.

Eine Auslieferung der beiden beschuldigten Agenten an ein britisches Gericht lehnte Gaddafi stets mit der Begründung ab, dort hätten seine Untergebenen keinen fairen Prozeß zu erwarten. Statt dessen bot er die Auslieferung an ein „unabhängiges Gericht“ an – beispielsweise den Internationalen Gerichtshof oder eine arabische Kammer. Vor wenigen Wochen hatte Gaddafi jedoch eine neue Forderung lanciert: Zuerst müsse die britische Regierung die „Mörder von Prinzessin Diana und Dodi al-Fayet“ an Libyen ausliefern. Begründung: Der Ägypter al-Fayet sei eigentlich Libyer und gemeinsam mit der Princess of Wales einem antiislamischen Mordkomplott des britischen Königshauses zum Opfer gefallen.

Die gestern bekanntgewordene neue Initiative Gaddafis kommt zu einer Zeit, in der sich die internationale Embargofront gegen Libyen langsam auflöst. „Wenn es um Terrorismus geht, kann es mit Libyen keine Kompromisse geben“, hatte US-Außenministerin Madeleine Albright noch Ende September die Teilnehmer eines Afrika-Treffens des UN-Sicherheitsrats auf eine unnachgiebige Haltung einzuschwören versucht. Mit mäßigem Erfolg: Die Arabische Liga und zahlreiche afrikanische Staaten machen sich weiter für eine mildere Haltung gegenüber Libyen stark. Begründung: Das Attentat sei lange her und die libysche Urheberschaft wohl kaum mehr zweifelfrei festzustellen. Inoffiziell ist zu hören, den USA ginge es im Fall Libyen weniger um Gerechtigkeit, als darum, eine Exempel zu statuieren – und der potentielle Handelspartner Gaddafi sei auch nicht schlimmer als so manch anderer international weniger beachteter Potentat.

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