: Polizistin und ihr Opfer trafen sich vor Gericht
■ Prozeß um Bauchschuß bei KFZ-Kontrolle wurde zum Psychodrama. Staatsanwalt: „Warum haben Sie Ihr Opfer nicht besucht?“Polizistin: „Ich konnte das nicht.“
Das Opfer will den Gerichtssaal nicht verlassen. Vor einem Jahr ist sie, nachdem die Polizei den Wagen ihrer Freunde auf der Autobahn 27 in Bremen-Vahr gestoppt hatte, durch einen Schuß aus der Dienstwaffe einer Polizeibeamtin lebensgefährlich verletzt worden. Die Kugel durchschoß einen Leberlappen, die Gallenblase, den Magen und blieb schließlich im linken Beckenflügel stecken. Von den sechs Wochen, die sie im Krankenhaus lag, schwebte die junge Frau drei Wochen in Lebensgefahr. „Meine Mandantin befindet sich in psychotherapeutischer Behandlung“, sagte ihr Anwalt gestern zu Beginn des Prozesses vor dem Bremer Amtsgericht. „Vielleicht tut es ihr gut, das Geschehene aus Sicht der Polizeibeamtin zu hören.“
Normalerweise müssen Nebenkläger, die auch als Zeugen gehört werden, den Gerichtssaal verlassen – um den Wert ihrer Aussage nicht zu schmälern. Doch in diesem Fall hat keiner der Beteiligten Einwände. Auch die Polizeibeamtin aus Niedersachsen nicht, die aufrecht auf der Anklagebank sitzt. Fahrlässige Körperverletzung wirft der Staatsanwalt ihr vor. Sie soll die polizeiliche Sorgfaltspflicht verletzt und sich dem Wagen mit entsicherter Waffe genähert haben.
Gegen ein Uhr nachts erreicht sie der Notruf aus der Diskothek Arena. Ein Türsteher sei mit einer Machete bedroht worden, heißt es. Die beiden Täter seien in einem Opel-Kadett mit Bremer Kennzeichen geflüchtet. Die Polizistin und ihr Kollege, die in dieser Nacht Streife fahren, entdecken den Wagen auf der Autobahn, nehmen die Verfolgung auf und fordern Verstärkung an. Der Opel fährt auf einen Parkplatz. „Der Wagen verringerte seine Geschwindigkeit nicht. Das gab mir dann doch zu denken.“Inwiefern, will der Richter wissen. „Wir wußten ja, das eine Bewaffnung gegeben war“, antwortet die Beamtin. Ihre Miene wirkt gefaßt, die Sprache gestelzt. Es scheint, als diene ihr der Beamtenjargon als Schutzschild. Mit zwei Streifenwagen wird der Opel ausgebremst. Dann geht alles ganz schnell. Die Polizisten springen aus den Streifenwagen und umstellen den Opel. „In der rechten Hand hielt ich die Waffe nach unten. Mit der linken Hand versuchte ich, an der hinteren Beifahrertür zu ziehen, aber es ging nicht. Dann hörte ich ein Geräusch, wie das Ploppen aus einer Weinflasche. Ich wußte nicht, was das war.“Weder den Schuß, noch daß die Waffe entsichert war, habe sie gespürt, versichert die Beamten.
Ihre Dienstwaffe, eine P 7 Heckler & Koch, ist t eine höchst umstrittene Waffe. Nur in Bayern und Niedersachsen tragen Polizeibeamte diese Pistole im Halfter. Beim Entsichern müssen die BeamtInnen darauf achten, daß sie nur den kleinen Finger, den Ringfinger und den Mittelfinger krümmen. Der Zeigefinger muß fest am Lauf liegen, sonst zieht der Finger am Abzug und löst den Schuß – in Streßsituationen ein gefährliches Unterfangen. Ob diese Thematik in der Ausbildung angesprochen worden sei, will der Staatsanwalt wissen. Die Beamtin schüttelt den Kopf. Ihre letzte Schießübung vor dem Unfall lag ein Jahr zurück. Ob sie das Umstellen eines Fahrzeuges bei gleichzeitigem Ziehen der Waffe jemals geübt habe, will der Staatsanwalt wissen. Solch' eine extreme Situation habe sie nie geübt, versichert die Beamtin. Es sei das erste Mal gewesen, daß sie die Waffe gezogen habe.
Das Gericht macht keine kurze Pause. Auf dem Flur stürzt das Opfer weinend in die Arme seiner Mutter. Die Beamtin geht mit ihrer Anwältin vorbei – sie sieht starr geradeaus. Als die Verhandlung fortgesetzt wird, will das Opfer den Saal verlassen. Sie hat Kopfschmerzen. Als die junge Frau den Gerichtssaal verlassen hat, schildert die Beamtin die Tage nach dem Geschehen. Eine Woche war sie krank. Dann wollte sie zurück in den Dienst. Ihr Dienststellenleiter habe nur kurz mit ihr gesprochen. Die Polizistin stockt, ihre Stimme bricht. Sie weint. „Warum haben Sie das Opfer nicht besucht“, will der Staatsanwalt wissen. „Ich konnte das nicht“, sagt die Polizistin leise und drückt ein Taschentuch auf ihre Augen. „Ich hab' mich immer nach ihr erkundigt. Aber ich konnte ihr nicht gegenübertreten.“„Herr Rechtsanwalt“, wendet sich der Staatsanwalt an den Anwalt des Opfers. „Bitte übermitteln sie ihrer Mandantin diesen Eindruck.“ kes
Der Prozeß wird forgesetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen