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■ Filmstarts à la carteDer Killer als Kleinbürger

Denken die Betreiber des von der Räumung bedrohten Tacheles beim Stichwort Oberfinanzdirektion jetzt an Mord? Daß sich die Camera im Tacheles in einer Filmreihe den Berufskillern widmet, läßt zumindest Böses erahnen.

Andere Zeitgenossen, die in diesen schlechten Zeiten einen Wechsel ihrer beruflichen Tätigkeit in Erwägung ziehen, können sich in den nächsten zwei Wochen sowohl von bekannten Werken wie Melvilles „Der eiskalte Engel“ als auch von einem heute fast vergessenen Meisterwerk des Genres, Irving Lerners „Murder by Contract“ („Der Tod kommt auf leisen Sohlen“) inspirieren lassen.

Da sich bei der Produktionsfirma seinerzeit niemand für den in nur einer Woche mit einem Budget von 80.000 Dollar gedrehten B-Film interessierte, hatte Regisseur Lerner freie Hand: Gelangweilt von den herkömmlichen Klischees, ironisierte er die Story und schuf mit dem ehemaligen Computerfachmann Claude, der sich nach einem lukrativeren Job umsieht, weil er auf ein kleines Häuschen am Ohio spart, einen ungewöhnlich spießigen Killer. Methodisch wie ein Buchhalter und mit geradezu herausforderndem Selbstvertrauen packt Claude seine Arbeit an, bis ihn eines Tages die Tatsache, daß sein nächstes Opfer eine Frau ist, völlig aus der Fassung bringt.

Vor allem aber ist „Murder by Contract“ eine gelungene Studie über das Warten: So geraten für die von der Polizei in ihrem eigenen Haus eingepferchte Zeugin die ewig gleichförmigen Tage bis zum Prozeßbeginn zur Zerreißprobe für ihre Nerven – gleichzeitig treibt Claude einen nervösen Kollegen zur Weißglut, weil er den Mordanschlag immer weiter hinauszögert und seine Zeit scheinbar mit Nichtstun verbringt.

Die Beziehungen Deutschlands zu unseren nordischen Nachbarn beleuchtet zur Zeit die Ausstellung „Wahlverwandtschaften“ im Deutschen Historischen Museum. Begleitend zeigt das Zeughauskino noch bis in den Dezember Höhepunkte skandinavischen Filmschaffens. Was Ingmar Bergman in „Das Lächeln einer Sommernacht“ komödiantisch abhandelte, gerät dem dänischen Regisseur Carl Theodor Dreyer in „Tag des Zorns“ zum Ausgangspunkt eines düsteren Dramas: die Liebe einer jungen Ehefrau zu ihrem nahezu gleichaltrigen Stiefsohn.

In strengen Bildkompositionen, deren Kadrage und Lichtgestaltung an niederländische Gemälde der Barockzeit erinnern, erzählt Dreyer von einem Klima fanatischer Religiosität im 17. Jahrhundert, von Bigotterie und Hexenverbrennungen. Im Haus des Priesters Absalom, das dieser mit seiner herrischen Mutter und seiner jungen Frau Anne bewohnt, fehlt jedes Anzeichen von Lebensfreude: kärglich möbliert, von wenigen Kerzen spärlich illuminiert, die Personen in strenger, schwarzer Kleidung. Als Anne einmal ein Lied trällert, empfindet die Mutter dies bereits als Provokation. „Im Tod wird erst das wahre Leben beginnen“, sagt Absalom einmal; Anne hingegen möchte ein glückliches Leben im Hier und Jetzt. Ganz anders deshalb die Außenaufnahmen, die Anne mit Martin, Absaloms Sohn, zeigen: Da leuchtet ein Weizenfeld mit Annes blonden Haaren um die Wette, und die Sonne scheint auf die junge Liebe. Doch auch in der scheinbaren Idylle lauert bereits der Schrecken: Ein Mann zieht einen Karren mit Holz für einen Scheiterhaufen.

Das unersprießliche Ende deutet Dreyer durch die veränderte Natur an: Nach Absaloms plötzlichem Tod erscheinen Anne und Martin in einem undurchdringlichen Nebel nurmehr als geisterhafte Schatten.

Lars Penning

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