Für Queen und Moral

Der heute beginnende Commonwealth-Gipfel in Großbritannien stellt Blairs Außenpolitik auf die Probe  ■ Aus Edinburgh Anette Hornung

Auf der St. John's Church im Zentrum des schottischen Edinburgh prangt ein schauriges Wandbild. Es mahnt „Common Wealth? – Remember Ken Saro-Wiwa“ und zeigt das blutige Antlitz des nigerianischen Bürgerrechtlers, der während des letzten Commonwealth-Staatengipfels im November 1995 zusammen mit acht anderen Bürgerrechtlern hingerichtet wurde. Der Mord führte die Nachfolgeorganisation des britischen Empires damals dazu, Nigerias Mitgliedschaft zu suspendieren.

Heute beginnt in Edinburgh der nächste Commonwealth-Gipfel, und Nigeria wird in den Diskussionen eine wichtige Rolle spielen. Das Wandbild von Saro-Wiwa ist nur wenige Schritte von den Hotels entfernt, in denen die Regierungsdelegationen der 54 Mitgliedsstaaten wohnen. Was der Gipfel im Falle Nigerias entscheidet, wird als Prüfstein dienen für die Glaubwürdigkeit des Staatenbundes, dessen Daseinsberechtigung immer wieder in Frage gestellt wird.

Viele Briten sehen das Commonwealth als überholtes Relikt aus Kolonialzeiten, das nur noch von der Queen und für sie am Leben erhalten wird. Commonwealth-Fans hingegen argumentieren, daß der Staatenbund nie so viele Mitglieder zählte und nie so beliebt war wie in diesen Tagen. Mit 1,6 Milliarden Menschen in 54 Mitgliedsstaaten repräsentiert er ein Viertel der Weltbevölkerung.

Eigentlich steht der Gipfel unter dem Motto „Handel, Entwicklung und Investition“. Die Konferenz beginnt heute mit Arbeitsgruppen der Ministerdelegationen, am Freitag findet die offizielle Eröffnung statt mit Reden von Queen Elizabeth, Premierminister Tony Blair, Indiens Premierminister Kumal Gujral und Commonwealth-Generalsekretär Chief Emeka Anyaouku aus Nigeria. Dann konferieren die Delegationen nach einer streng vertraulichen Tagesordnung. Am Sonntag fahren die 51 anwesenden Staatsoberhäupter nach alter Tradition für einen Tag aufs Land – zum Gedankenaustausch ohne Entourage in zwangloser Atmosphäre. Das Schlußkommuniqué wird für Montag nachmittag erwartet.

Doch Menschenrechtsfragen werden eine Rolle spielen – nicht nur, was Nigeria angeht. Auf Einladung von Premierminister Tony Blair kommt der im Mai von Militärs gestürzte Präsident des westafrikanischen Sierra Leone, Ahmad Tejan Kabbah, aus dem Exil in Guinea nach Edinburgh. Das Commonwealth hatte Sierra Leones Mitgliedschaft nach dem Militärputsch im Mai suspendiert, vor kurzem organisierte das britische Außenministerium eine Tagung zur Wiederherstellung der Demokratie in Sierra Leone, bei der Kabbah auftrat.

Mit seiner Parteinahme in Sierra Leone folgt Blair der Linie seines Außenministers Robin Cook, der in seiner Rede zum Amtsantritt im Mai betont hatte, die britische Labour-Regierung werde Menschenrechtsfragen und dem Schutz der Demokratie besondere Bedeutung beimessen. Großbritanniens Schatzkanzler Gordon Brown sprach sich im Vorfeld des Gipfels ferner dafür aus, den ärmsten Commonwealth- Staaten bis zum Jahr 2000 ihre Schulden zu erlassen.

Der Gipfel wird zeigen, inwieweit die britische Regierung solchen hehren Vorsätzen entsprechen kann. Im Falle Nigerias und Sierra Leones erwarten Beobachter allenfalls eine Fortsetzung der Suspendierung. Stärkere Sanktionen wie ein Ölembargo sind angesichts der Interessen der Ölmultis in Nigeria unwahrscheinlich. Ein Ausschluß Nigerias würde auf Widerstand anderer afrikanischer Staaten stoßen, die so etwas als Einmischung in innere Angelegenheiten betrachten.

Erstmals in der Geschichte des Commonwealth werden am Rande des offiziellen Gipfels die Menschenrechts- und Entwicklungshilfeorganisationen des Staatenbundes in Erscheinung treten. Im „Commonwealth Centre“ in Edinburghs altehrwürdigen Assembly Rooms laufen seit Dienstag Ausstellungen, Symposien, Diskussionen und Workshops zu den Themen Umweltschutz, Rüstungshandel, Frauenpolitik, Anti-Minen-Kampagnen, Fairer Handel, Nord-Süd-Konflikt und Schuldenabbau. Etwa hundert Vereinigungen, vom World Wide Fund for Nature bis zu Human Rights Watch, präsentieren ihre Arbeit der Öffentlichkeit und gegen Ende der Woche auch einigen Staatsoberhäuptern. Mit Spannung erwartet wird eine Podiumsdiskussion zum Thema Demokratie in Nigeria, zu der Wole Soyinka, nigerianischer Literatur-Nobelpreisträger, und Ken Wiwa, der Sohn Ken Saro-Wiwas, eingeladen wurden.

Neben diesen offiziellen Vereinigungen wird damit gerechnet, daß bis zu 40 weitere Protestgruppen während des Gipfels auf Edingburghs Straßen demonstrieren – nicht nur Nigerianer, sondern auch Tamilen aus Sri Lanka, Kashmiris aus Pakistan, Aborigines aus Australien und Zyprioten. Schottlands Polizei hat sich gut vorbereitet: Für die größte Polizeiaktion in der Geschichte des Landes werden in den nächsten Tagen bis zu 2.500 PolizistInnen im Einsatz sein, um die angereisten Regierungschefs vor allen Eventualitäten zu schützen.