Es geht auch ohne Understatement

■ Wissenschaftsinstitute in Berlin, Teil 5: Die Wahrnehmung erproben – Im Medieninstitut Berlin arbeiten Künstler und Theoretiker daran, etwas „zu schaffen, was es noch nicht gibt“

Auf der Bildoberfläche pflegt man eher die Kunst des professionellen Understatements: „Das Virtuelle“, murmelt Winfried Gerling und guckt an mir vorbei, „findet sowieso im Kopf und nicht am Bildschirm statt.“ Das Medieninstitut Berlin versteht sich als Interface zwischen Geisteswissenschaften und technologischem Wissen. Die elf festen Mitarbeiter des Instituts kommen von der Bildenden Kunst – es sind Künstler und Musiker, die sich Ende der achtziger Jahre mit dem Kunsthistoriker und Philosophen Arthur Engelbert an der HdK zum Forschungsprojekt „Technologisches Sehen“ zusammenfanden. Personell ist der Kreis seither von einer erstaunlichen Stabilität.

Institutionell folgen die Mitarbeiter des Instituts quasi naturwüchsig einer Ablösung vom Akademischen: „Seit den achtziger Jahren transportieren die Bildenden Künste kaum noch Erfahrungen. Der Boom des Noch-einmal- Expressionismus, Noch-einmal- Konzeptionalismus mit seinem ungeheuren Marktwirkungen war ein Endzeitphänomen, das die jüngere Generation mit leeren Händen zurückließ“, doziert Engelbert, heute nebenberuflich Medien-Professor in Potsdam. „Was Baselitz da an der HdK machte, das war doch hohl; ich meine das jetzt gar nicht abwertend – was hätte der uns noch zu sagen?“

Beim Museumspädagogischen Dienst in der Chausseestraße 123 fand der damalige „e. V.“ eine erste Bleibe. Durch schmale Gänge müssen sich die Besucher bis ins zweite Hinterhaus schlägeln. Man hat sich inzwischen weiter professionalisiert und die mib-GmbH gegründet: die Gesellschaft für Multimediaproduktionen in Berlin. Orte des Denkens – Institute – sind, wenn was aus ihnen werden soll, wohl eher von dynamischer Natur – die einstige Studentengruppe um Arthur Engelbert könnte man als Beispiel für die innovative Potenz der deutschen Universität nehmen.

Fehlt eigentlich nur noch eine Information: Was treibt das Medieninstitut, pardon: die mib-GmbH, so um? „Das Team der mib- GmbH erarbeitet neue Formen der digitalen Transformierung des überlieferten Wissensbestandes“. Aha. Zur Gegenprobe eine etwas längere Fassung: „Man kann die Produktion der mib aufteilen in Auftragsarbeiten für Museen und Wirtschaftsunternehmen und in auftragsungebundene Projekte. Am Anfang stand die Idee ,visueller Argumentationen‘ im Vordergrund, heute sind es eher Beiträge zu einem ,multimedialen‘ Text.“

Drei CD-ROMs hat die mib bisher produziert. Im museumspädagogischen Umfeld anzusiedeln ist ein „virtuelles“ Porträt des Berliner Werkbund-Archivs mit dem telephantasmatischen Titel „Lumpensammler im Datenraum“. Daneben entstand eine CD mit werkbiographischen Luther-Materialien im Auftrag der Lutherhalle Wittenberg. Die dritte CD-ROM heißt „Bauen im Licht – Das Glashaus von Bruno Taut“, wird von der mib selbst vertrieben und ist – printtechnisch gesprochen – die Visitenkarte der Medienmitarbeiter: eine freie Arbeit – zugleich Annäherung an ein peripheres Objekt und Schau digitaler Wissensproduktion. Gegenstand der CD- ROM ist ein Glastempelchen, das Taut im Sommer 1914 als Reklamepavillon der Glasindustrie präsentierte. „Das Taut-Projekt“, sagt Arthur Engelbert, „läßt die architektonischen Utopien am Anfang dieses Jahrhunderts erstmals zu sich selbst kommen.“

Transparenz! Virtualität! Hört, hört, es geht auch ohne Understatement. Doch Engelbert referiert so ungerührt, als berichte er aus dem Raum des unumstößlich Faktischen. Drei Hauptkapitel strukturieren das multimediale Werk: ein „Atlas“ zu 12 x 12 architektonischen Urtypen (vom „Nabel“ bis „Mausoleum“); ein kaleidoskopischer „Rundgang“ durch das digital konstruierte Glashaus und ein „Geistergespräch“. „Im Umkreis von Taut“, sagt Markus Ramershoven, „wurde ungeheuer viel geschrieben. Über Physik, Architektur, über Materialien, Baustoffe, Philosophie. Wie, so fragten wir uns, sollten wir diese Texte animieren? Es konnte ja nicht mehr darum gehen, ein altes Gespräch quasi nochmals neu zu beleben. Für uns geistern Taut und seine Generation nur noch als Untote durch die Bücher und Bibliotheken. Statt eines Dialogs haben wir deswegen eher auf Geister-Monologe gesetzt. Kreisende Wortpaare – Geist/Gerippe, Traum/Maschine, Kristall/Bewegung usw. – rufen Kurztexte hervor. Erst auf ein erneutes Anklicken erscheinen längere Texte.“

Ideologisch ist das Medieninstitut relativ locker verfaßt. Auf den gängigen Symposien zwischen Darmstadt und Madrid ist man inzwischen präsent, vom akademischen Diskurs aber hat man sich weitgehend gelöst und reagiert auf die hypertrophen Fragestellungen aus den Achtzigern eher belustigt. „Neue Medien an sich sind doch uninteressant. Neben den alten Körpertechniken gibt es eben neue, die über Hirnbilder laufen. Die ganzen Schlagworte, die damit verbunden werden – Geschwindigkeit, Macht – haben etwas Lächerliches. Im Grunde passiert doch nichts, außer, daß man lernt, entsprechend der Diktion der Maschine in überschaubaren Feldern und Bezügen zu arbeiten.“ Und wenn man keine Lust mehr dazu hat, dann erprobt man seine Wahrnehmung eben wieder in den alten Netzen. Die Freiberufler im Medieninstitut Berlin produzieren „mediale Transformationen von weichen Vorgaben“ (Winfried Gerling): Das kann die Erscheinungsform einer CD-ROM haben („als Medium sowieso nur eine Übergangserscheinung“), es kann auch eine Ausstellung, ein Konzert, gar ein Buch sein. Aversionen hat man eigentlich nur gegen eins: gegen Wirklichkeitskonzepte, die Vollständigkeit suggerieren.

In ihrem Versuch, das digitale Medium vom Vorwärts/Rückwärts zwischen Text und Metatext zu befreien – die menschliche Einbildungskraft vom Raum zu lösen – aber grenzt der Pragmatismus des Medieninstituts dann doch ans Prometheische: „Die Rekonstruktion einer Welt interessiert uns nicht“, grinst Gerling. „Da ist mir der Terminator schon näher: Etwas zu schaffen, was es noch nicht gibt.“ Fritz v. Klinggräff

Medieninstitut Berlin, Chausseestraße 123, 10115 Berlin, Tel.: 28397466, Fax: 2826183, E-Mail: mibacontrib.de;

Teil 1 unserer Serie behandelte das Goethe-Institut (29.5.), Teil 2 das Institut für Kreatives Schreiben (18.7.), Teil 3 das Forschungszentrum für Historische Anthropologie (22.8.) und Teil 4 das Institut für Populärkulturforschung (5.9.).