: Übernahmepoker im Sozialbereich
■ Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband (DPWV) will dem Land die Erziehungsberatungsstellen und Heimplätze abnehmen. Staat müsse in dem Bereich "nicht selbst tätig sein". Kritiker bezeichnen das Angebot a
Die Offensive des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (DPWV) zur Übernahme staatlicher Sozialleistungen geht weiter. Vor zwei Wochen hatte der Verband angekündigt, er wolle alle öffentlichen Kliniken übernehmen. Jetzt hat der DPWV angeboten, auch alle städtischen Familien- und Erziehungsberatungstellen zu verwalten. Der Geschäftsführer des DPWV, Hans-Jochen Brauns, sagte im taz-Interview, es sei nicht einzusehen, daß sich diese Beratungsstellen in staatlicher Trägerschaft befänden: „Wir könnten diese sofort übernehmen.“ Ebenfalls könnte der Verband „sämtliche“ Kinder- und Jugendheime der Stadt betreiben.
Brauns forderte mehr „Mut zum schlanken Staat“. Die Stadt müsse sich darauf beschränken, daß für gewichtige soziale Probleme ein „hinreichendes und qualifiziertes Angebot“ vorhanden sei. „Jedoch muß der Staat nicht selbst tätig sein“, sagte Brauns. Der Geschäftsführer forderte leistungsbezogene Gehälter, kürzere bürokratische Wege und mehr Möglichkeiten für neue Strukturen in den Krankenhäusern und Kitas.
Brauns sprach sich erneut für betriebsbedingte Kündigungen im öffentlichen Dienst aus. „Ich sehe es nicht ein, Steuern für Arbeitnehmer zu zahlen, die nichts mehr zu tun haben.“ Falls die Liga der Wohlfahrtsverbände tatsächlich wie vor einigen Wochen angekündigt, die staatlichen Kitas übernehmen sollte und der DPWV die Kliniken, würden die Mitarbeiter „in der Regel“ aber gebraucht werden, kündigte er an. Für die überflüssigen Arbeitnehmer würden die Verbände nach anderen „sinnvollen Beschäftigungsmöglichkeiten“ suchen. Brauns plädierte beispielsweise dafür, mehr Betten für Patienten aus dem Bundesgebiet und dem Ausland bereitzuhalten. So könnten Mitarbeiterstellen gerettet werden. Barbara Eckey, im Vorstand der Landesarbeitsgemeinschaft für Erziehungsberatung, kritisierte die erneuten Vorstöße des DPWV. „Das steht im Gegensatz zur Realität. Ich frage mich, wie der DPWV das leisten will“, sagte sie.
Eckey verwies darauf, daß die Liga bereits etliche Beratungsstellen schließen mußte, im letzten Jahr acht Einrichtungen. Laut DPWV mußten sie schließen, weil die Förderung des Senats von 5,7 Millionen auf 3,5 Millionen Mark gekürzt wurde.
Auch die Pläne des DPWV, die städtischen Heimplätze zu übernehmen, stießen auf Skepsis: „Man wildert nicht in fremden Revieren. Wir sind schon ein eigenständiger Träger“, kritisierte Günter Menkel, Direktor beim Jugendaufbauwerk, das seit zwei Jahren rund 2.000 Heimplätze verwaltet. Von 2.300 Mitarbeitern sind 90 Überhangkräfte, die in den nächsten zwei Jahren abgebaut sein sollen, sagte Menkel. Jedoch sei das Ziel, betriebswirtschaftlich zu arbeiten, bereits erreicht. Der DPWV geht davon aus, daß der Verband die Heime dennoch rund 20 Prozent billiger führen könnte. Julia Naumann
Interview Seite 23
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