: Vorschnelle Unkenrufe
■ Hamburg: Die Halbzeitbilanz von Rot-Grün kann sich sehen lassen
Die Dramaturgie der rot-grünen Verhandlungen in Hamburg ist dem ostfriesischen Schlitzohr Ortwin Runde (SPD) gut gelungen: Der designierte Erste Bürgermeister ließ die Grün-Alternative Liste (GAL) zunächst Kröten schlucken, bis die Handelskammer selig gluckste und selbst Bild schrieb, nun würde es aber reichen.
Nun aber will er sich die grünen Zugeständnisse richtig etwas kosten lassen – nämlich wahrscheinlich den Ausstieg aus einem der vier AKW in Hamburgs Umgebung. Damit dürfte die in der Öffentlichkeit beklagte Schieflage der bisherigen Verhandlungsergebnisse korrigiert werden können. Doch auch ohne den AKW- Ausstieg ist die Halbzeitbilanz besser als ihr Ruf. Bei den von linken GALierInnen beklagten Zugeständnissen wie Elbvertiefung, Hafenerweiterung und Flughafenausbau ging es um Symbole. Diese Großprojekte waren in Wahrheit längst nicht mehr zurückzuholen.
Zum anderen kann grüne Politik längst nicht mehr nur an ökologischen Erfolgen gemessen werden. Grüne WählerInnen erwarten heute zu Recht mehr als Traditionspflege. Minderheitenpolitik, Bürgerrechte, eine moderne Bildungspolitik und soziale Gerechtigkeit gehören inzwischen zu den wichtigen Standbeinen. Daß die GAL eine weitere Großsiedlung auf der grünen Wiese verhindern konnte, ist deshalb nicht nur ein Sieg für den bedrohten Vogel Wachtelkönig und seine Freundinnen und Freunde. Es verhindert vor allem auch, daß noch eine Trabantenstadt entsteht, die Jugendliche hervorbringt wie jene, die vorgestern in Hamburg verurteilt wurden, weil sie einen Gleichaltrigen mit Erpressung in den Selbstmord getrieben haben.
Zugegeben: Eine Modernisierung des Jugendhilfesystems, mehr Fahrradwege oder bessere Bürgerbeteiligung sind keine spektakulären grünen Verhandlungserfolge. Doch sie könnten die Stimmung in der Stadt entscheidend verändern. Nicht nur an einer umweltpolitischen Wende wird sich die Zukunftsfähigkeit einer rot- grünen Regierung entscheiden. Auch am Umgang mit den Verlierern des Strukturwandels, an der Schaffung neuer Ausbildungsplätze und daran, ob MigrantInnen in der Ausländerbehörde weiterhin wie lästige Parasiten behandelt werden, wird sich zeigen, ob SPD und GAL für eine Regierung taugen, die mehr will als nur Macht. Silke Mertins
Bericht Seite 4
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