: Wettbewerbsorientiert, effizient, stromlinienförmig
Hochschulforscher bekommen Konkurrenz. Künftig werden sie mit den 83 Instituten der Blauen Liste um die gleichen Geldtöpfe streiten ■ Von Wiebke Rögener
Der Umbau der deutschen Forschungslandschaft fordert seine ersten Opfer. Die Begutachtung der außeruniversitären Forschungsinstitute ist noch längst nicht abgeschlossen, da steht schon fest, daß für vier Einrichtungen das Aus bevorsteht. Die Zielvorgabe ist klar: Wettbewerbsorientiert, effizient, stromlinienförmig – so soll sie sein, die neue deutsche Wissenschaft. Vor gut einem Jahr gab Forschungsminister Jürgen Rüttgers die Richtung vor: „Innovationen durch mehr Flexibilität und Wettbewerb“ überschrieb er die „Leitlinien zur strategischen Orientierung“. Auf einer Wissenschaftspressekonferenz in Bonn stellten sich jetzt deutsche Forschungsmanager der Frage, wohin diese Orientierung bisher geführt hat.
Wolfgang Frühwald, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), widersprach der Wahrnehmung, daß die Leitlinien mehr Bürokratie und Forschungskontrolle zur Folge hätten. Nachdrücklich begrüßte er die Stärkung des Wettbewerbs, die Konzentration der Mittel auf anwendungsnahe Forschungsfelder.
Nicht recht vorangekommen sei dagegen die Flexibilisierung der Haushalte von Forschungsinstituten und Hochschulen. Immer noch gilt das System der „Kameralistischen Haushaltsführung“, der starr verplanten Jahresetats: Gelingt es, bei einem Haushaltsposten Mittel einzusparen, dürfen diese beileibe nicht für etwas anderes verwendet werden. Und wer im Dezember noch Geld übrig hat, muß es schleunigst ausgeben, damit die Zuwendungen im nächsten Jahr nicht geringer ausfallen.
Als Drehscheibe des Wettbewerbs zwischen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen soll die DFG künftig fungieren. Bisher bewerben sich vor allem Hochschulwissenschaftler um diese für die Forschungsförderung eingesetzten öffentlichen Gelder in Höhe von fast zwei Milliarden Mark jährlich. Die Grundausstattung der Universitäten läßt meist keine größeren Forschungsaktivitäten zu. Daher sind DFG-Gelder die Lebensader, die die Einstellung von Doktoranden oder die Beschaffung von Geräten ermöglicht. Wissenschaftliche Institute außerhalb der Hochschulen dagegen, die – einer vor zwanzig Jahren auf blauem Papier gedruckten Zusammenstellung wegen – als „Blaue Liste Institute“ firmieren, lebten bisher vorwiegend von regelmäßigen Zuweisungen, die je zur Hälfte vom Bund und den Ländern kamen. Dieser Scheck soll künftig knapper ausfallen, dafür dürfen auch die Institute der Blauen Liste in den Wettstreit um DFG-Gelder eintreten. Um fünf Prozent, so hieß es zunächst, solle der bisher garantierte Etat sinken. Das Geld sollte auf die DFG umverlagert werden. Nach zähen Verhandlungen blieb von dieser Abgabe nur die Hälfte übrig. Und so ist der Präsident der Wissenschaftsgemeinschaft Blaue Liste (WBL), Ingolf Hertel, auch guten Mutes, daß die von ihm vertretenen Institute von der Neuregelung profitieren werden: „Wir werden mehr gewinnen als wir abgeben“, ließ er in Bonn optimistisch verlauten.
Doch wo es Gewinner gibt, sind auch Verlierer zu finden. Die deutschen Hochschulen könnten dazu gehören. Die Konkurrenz zwischen Universitäten und Instituten der Blauen Liste dürfe nicht in einen „ruinösen Wettbewerb“ ausarten, mahnte Frühwald, ohne näher auszuführen, wie dies zu verhindern sei. Wenn die von der DFG zu vergebenden Forschungsmittel insgesamt zu gering sind, rücke diese Gefahr jedenfalls näher. Nicht nur wurden weniger Gelder als ursprünglich geplant von der WBL zur DFG umgeschichtet. Auch die Aufstockung des DFG- Budgets aus den öffentlichen Haushalten fiel geringer aus als zugesagt: Fünf Prozent Zuwachs hatten Bund und Länder vereinbart, noch Ende August hatte Rüttgers dies öffentlich verkündet. Doch während der Bundeskanzler beim „Tag der Forschung“ in Jena schöne Reden hielt über die Bedeutung von Forschungsförderung und Nachwuchspflege, befand der Haushaltsausschuß: 3,9 Prozent Steigerung sind genug.
Damit wird noch keine Katastrophe ausgelöst“, so Frühwald. Doch „wächst bei den Wissenschaftsorganisationen wieder der Zweifel über die Verläßlichkeit der Politik“. Der geringere Zuwachs bedeute immerhin, daß es zehn Sonderforschungsbereiche weniger geben wird und damit 400 Doktoranden oder 200 promovierte Forscher ohne Arbeit bleiben. Auch der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Klaus Landfried, mahnte gleiche Wettbewerbsbedingungen an: Er beklagte die übermäßige Belastung der Hochschulen durch die Lehre, die veraltete apparative Ausstattung und die drastische Unterfinanzierung des Hochschulbaus. Diese Klötze am Bein können im Wettlauf um Forschungsmittel die Hochschulwissenschaftler gegenüber ihren Konkurrenten aus den WBL-Instituten leicht ins Hintertreffen geraten lassen. Der Wettbewerb, so Landfried, trage auch eine Tendenz zur Selbstzerstörung in sich. Wolfgang Frühwald konstatierte schon heute eine Aufspaltung in „Teaching Universities“ und „Research Universities“. Obwohl offiziell nicht gewollt, sei diese Aufgabenteilung längst Realität: Nur 89 der insgesamt 113 deutschen Hochschulen erhielten in den letzten fünf Jahren überhaupt DFG-Mittel. Sechzig Prozent dieser Gelder teilten zwanzig Hochschulen unter sich auf. Dagmar Schipanski, Vorsitzende des Wissenschaftsrats, betonte, daß eine gute Balance zwischen Grundausstattung und zusätzlichen, im Wettstreit mit anderen Forschern eingeworbenen Drittmitteln, bestehen müsse. Dieses Gleichgewicht sei bei den Universitäten nicht mehr gegeben. Es blieb ihr Geheimnis, warum sie trotz allem keinen für die Hochschulen „ruinösen Wettbewerb“ befürchtet.
Die Institute der Blauen Liste sehen also dem Wettstreit um DFG-Mittel gelassen entgegen. Doch auch sie können sich nicht mehr ganz unbehelligt ausruhen auf dem Polster der staatlichen Alimentation. Nachdem in den ostdeutschen Bundesländern so manches Forschungsinstitut gewogen, für zu leicht befunden und abgewickelt wurde, bewertete der Wissenschaftsrat nun im Westen die Institute der Blauen Liste. Im Prinzip handelt es sich dabei um unverbindliche Empfehlungen. Doch hat der Bundesforschungsminister erklärt, er werde den Vorschlägen des Wissenschaftsrates folgen. Und nur wenn Einrichtungen der Blauen Liste geschlossen werden, soll es Neuaufnahmen geben. Eine Reihe von Kandidaten stehen bereits Schlange.
Der Wissenschaftsrat gab nun erste Opfer bekannt: Das Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund, das Göttinger Institut für den wissenschaftlichen Film, das Medizinische Institut für Umwelthygiene in Düsseldorf und das Institut für Geowissenschaftliche Gemeinschaftsaufgaben im Niedersächsischen Landesamt für Bodenforschung wurden nicht zur Weiterfinanzierung empfohlen. Bisher überprüften die Gutachter erst 21 der 82 Forschungseinrichtungen. Wenn sich die Ergebnisse übertragen lassen, ist also insgesamt mit dem Aus für etwa 16 Institute zu rechnen. Eine „Kultur der Schließungen“ nannte Schipansky diesen Prozeß. Dafür sei ihm das Wort Kultur zu wertvoll, bemerkte der DFG-Präsident trocken und sprach lieber von einer „Notwendigkeit“.
Frischer Wind in alten Institutsfluren, Schluß mit wissenschaftlichen Erbhöfen, Freiräume schaffen für neue Ansätze – die Umstrukturierung scheint durchaus Chancen zu eröffnen. Zu fragen ist nach den Kriterien, die für die Bewertung der wissenschaftlichen Leistung herangezogen werden (siehe Kasten). Die forschungspolitischen Vorgaben aus dem Hause Rüttgers sind klar: Gefördert werden soll Wissenschaft, die den „Standort Deutschland“ sichert, Wettbewerbsvorteile verschafft und sich auf Themen konzentriert, die eine rasche Umsetzung in industrielle Innovationen erwarten lassen. Eine Reihe von in den „Leitlinien“ angekündigten Maßnahmen lenkt bereits Mittel in diese Richtung um: So wurden in der DFG sogenannte Transferbereiche geschaffen, die die Kooperation von Forschungseinrichtungen und Unternehmen bis hin zur Entwicklung von Prototypen fördern.
Forschung, die sich eher mit den nachteiligen Auswirkungen von soviel Fortschritt oder gar mit Fragen ohne kurzfristig sichtbaren Anwendungsbezug befaßt, hat in einer solchen stromlinienförmig ausgerichteten Forschungspolitik wenig Chancen. Im Wissenschaftsmagazin Nature (29.8.97) beschrieb der Physiker John Ziman kürzlich die Folgen dieser Entwicklung für die Wissenschaft: Wenn jedes Projekt von vornherein auf eine klar definierte Anwendung zugeschnitten ist, wenn angesichts knapper Mittel alle Reibungsverluste vermieden werden müssen, habe dies, so Ziman, den Effekt, „daß alle unorthodoxen Projekte und wilden Ideen niemals eine Chance bekommen, ihre verborgenen Möglichkeiten zu zeigen.“
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