■ Der zeitgenössische Film leuchtet moderne Ehen aus. „Liebesflüstern“ von Alan Rudolph läuft seit Donnerstag in unseren Kinos. Ein Essay von Ulf Erdmann Ziegler: Der Tempel Ehe
Fast zwei Jahrzehnte hat sich das Kino für Ehepaare nicht interessiert. Seit einiger Zeit beobachtet man glühende Bräute und Ehemänner mit seltsamsten Ambitionen. Die Macht der Definition kehrt zurück: „Er ist nicht mein Freund. Er ist mein Mann.“ Intelligente Filme zeigen die Ehe als legitime Konstruktion, auf der sich Leidenschaft, Betrug und Verbrechen vorzüglich abbilden lassen.
Während der deutsche Film mit seiner typisch lautstarken Verspätung nichts amüsanter findet als pornographisch balzende Fuffziger und furchtbar ambivalente Singles, lanciert das beste europäische und amerikanische Kino seit drei Jahren eine unauffällige, aber hartnäckige soziale Gruppe als Kernfigur der Kinoerzählung: das Ehepaar.
Für den ganz großen Abgang des Ehepaars aus den Filmstoffen hatte Ingmar Bergman gesorgt, mit seinen „Szenen einer Ehe“. In der umgekehrten Peanutsperspektive blieben die Kinder darin unsichtbar, während das Paar ohne Unterlaß die gemeinsame Vergangenheit zersägte und hobelte, bis nichts mehr übrig blieb als der Staub der Bitterkeit. Aber siehe, in der letzten Szene treffen sich die Geschiedenen in einer Hütte, um miteinander ihre derzeitigen Partner zu betrügen.
Damit war die ganz große Tragödie erst einmal erzählt. Natürlich hat es in ernstzunehmenden Filmen auch danach noch Ehepartner gegeben, aber eher um das Bild der Familie zu komplettieren oder zu spalten. Die Ehe selbst als Filmstoff galt als vergilbt.
Die Rückkehr des Themas bahnte sich an mit „Muriels Hochzeit“ (1994), einer erschreckenden australischen Komödie über ein Mädchen, das den Traum zu heiraten als eine Art Fetischrolle betreibt und dann in eine Scheinehe gelockt wird.
Auf den Mädchentraum der wunderbaren Hochzeit als Anbeginn eines wunderbaren Lebens ist auch Lars von Triers „Breaking the Waves“ (1996) gebaut, mit einer glühenden Braut, die in ihrem Dorf an der See schon halb irre geworden ist, als der rettende Prinz in Form eines blonden Bohrturmtechnikers daherkommt. Sowohl „Muriels Hochzeit“ als auch „Breaking the Waves“ sind mit hochgradig eingängigem Siebzigerjahrepop durchsetzt, was vielleicht weniger ein Zeichen von Nostalgie ist, sondern eher von Regression. Mit den Augen des Kindes kehrt man zum Thema zurück.
Lars von Trier benutzt das fiktive schottische Setting und den Siebzigerjahrehintergrund, um in der Figur der Bess einen Nachhall ernsthafter und unangefochtener Religion anzulegen, ein historischer Rest, der konterkariert ist von ihrem deutlichen Wunsch nach direkten, neugierigen und lasziven sexuellen Begegnungen. Bess heiratet also in ihre sexuelle Emanzipation hinein. Sie greift nach der modernen Ehe als einer Art kreatürlichem Versprechen. Wenn Jan dann verunglückt und als Querschnittgelähmter fast alle Funktionen – auch seine sexuellen – einbüßt, läuft ihr Begehren nach seiner Regie Amok.
Das Ergreifende und Überraschende an der Tragödie (mit melodramatischen Schnipseln) ist, daß Sexualität und Glück als Einheit völlig über die Ehe codiert sind – nicht mehr über den Betrug.
Es ist keineswegs so, daß das Ehepaar als heldische Institution wiederkehrt, wie etwa Victor Laszlo und Ilsa Lund in „Casablanca“. Dennoch wird die Unangefochtenheit des ehelichen Standes mit einer gewissen Sympathie für das Beständige in Szene gesetzt, auch wenn die Tagesroutine darin endet, gemeinsam vor dem Fernseher einzuschlafen.
So jedenfalls schildert Joel Coen den Alltag eines lokalen Malers im amerikanischen mittleren Westen, der seiner Frau das Frühstück macht und mittags die Burgertüte ins Büro bringt. Sie ist Polizistin. Sie ist schwanger und wirkt zunächst ein bißchen simpel.
Der Film heißt „Fargo“ (1996) und enthält eine weitere Ehegeschichte – vielleicht die fürchterlichste, die jemals erzählt worden ist. Es ist eigentlich die Geschichte des vollkommen mißglückten Schwiegersohns. Als Autoverkäufer im Salon des Vaters seiner Frau unterschlägt Jerry Lundegaard, so gut er kann, um ein wenig vom vielen Geld des übermächtigen Schwiegerarbeitgebers auf seine Seite zu schaffen. Um einen größeren Happen zu bekommen, läßt er von denkschwachen Ganoven seine Frau entführen.
Das Ganze endet mit einem halben Dutzend toter Menschen; der Schwiegervater als Erschossener auf einem Parkdeck, die Ehefrau als lebloses Bündel in einer Decke in einem unbeheizten Forsthaus („...bis daß der Tod Euch scheidet“). Etwas zu spät ist Jerry aufgefallen, daß er auch noch einen Sohn hat, dem schlußendlich alles, was ein Fünfzehnjähriger braucht, genommen ist.
Die Dramaturgie des Films lebt von dem grotesken Ungleichgewicht der beiden Ehepaare, wobei die konventionelle Familie auf die Seite des Verbrechens fällt (als Täter und Opfer), während das ärmliche und bei weitem ungewöhnlichere Paar für die verbürgte Fortdauer der rechtlichen Ordnung steht.
Ein Ehepaar, das sind zwei kleine Figuren unter dem Portal eines Tempels. An der Konstruktion der Ehe hängt immer irgendwie der ganze Staat. Was Eheleute verbindet, ist schwer einsehbar, hermetisch; gemeinsam sind sie eine Funktion in einem System, winzig. Dramaturgisch hat das den Vorteil, daß mit dem Klischee der Ehe der Rahmen steht.
Zwei Leute – und schon ist „das Symbolische“ berührt, wie der Nachdenker Jacques Lacan die nahezu unverrückbaren Grunddaten des bürgerlichen Lebens genannt hat: Geburt, Einschulung, Eheschließung und Tod.
Plötzlich besinnt sich das Kino auf die Macht der Definition. Sie lautet „Mein Mann...“ oder „...Deine Frau“. Diese hochsymbolischen Kürzel sind das Leitmotiv von Robert Altmans großartigem, auf Jazz abgefedertem „Kansas City“ (1996). Der Film bringt ebenfalls zwei Ehepaare ins Spiel, und wieder geht es um eine Entführung in der Amateurklasse.
Ein durchgeknalltes Jean-Harlow- Double unter dem eleganten Pseudonym Blondie entführt eine opiumabhängige Senatorengattin, um ihren Johnny wiederzubekommen.
Der befindet sich leider in den Händen der schwarzen Mafia. Blondie vermutet da eine Verbindung. So reißt sie, wir schreiben 1932, in einem schwarzen Töfftöff, mit der Knarre in der Hand, durch die Nacht von Kansas City und quasselt mit der Senatorin, als wären sie seit der Schulzeit befreundet: zwei Ehefrauen, die zutiefst abhängig sind von ihren Männern. Die eine eingehüllt in ihre Luxuswolke, ohne Interessen, ohne Willen; die andere unsterblich verliebt in einen verbrecherischen Schwachkopf.
Im Milieu wird das reisende Paar durchaus identifiziert. Da ruft ein brutaler Kneipier, ihr Schwager, Blondie zu: „Dein Freund sitzt mächtig in der Patsche.“ Und Blondie: „Er ist nicht mein Freund. Er ist mein Mann.“ Die ganze tragikomische Erzählung ist um diese Definition gebaut.
Die Senatorenfrau und Blondie, todmüde, auf einem Doppelbett. Carolyn Stilton: „Wußten Sie, daß jetzt auf Entführung die Todesstrafe steht?“ – Blondie: „Großer Gott. Woll'n Sie, daß ich Alpträume kriege?“ – Carolyn Stilton: „Mein Mann würde mich nie in so eine Lage bringen, wie Ihr Mann Sie gebracht hat.“
Auch wenn man vor lauter Nebel im Kopf sonst nichts mehr versteht: mein Mann, dein Mann – das ist noch immer einen Vergleich wert. Und er lohnt sich.
Als Blondie, die ohne Johnny „nicht leben“ kann, über ihren verblutenden Mann gebeugt in klassischer Klage zerbricht, faßt Frau Senator einen grandiosen Entschluß, greift sich die Waffe und erschießt die verzweifelte Ehefrau. Auch wenn Carolyn Stilton nicht lieben kann, so lernt sie doch von ihrer Entführerin, was eheliche Liebe überhaupt ist. Sie erlöst Blondie; oder: Sie synchronisiert den Tod von Ehemann und Ehefrau.
Die Ehe bleibt eine dumme Institution, über die man kluge Witze machen kann. Aber das Kino hat ja eine große Tradition mit Figuren, deren Verblendung interessanter ist als ihre Erleuchtung: Man gebe einem guten Schauspieler ein gutes Motiv, „nach innen gewandt“ zu erscheinen, und schon ist die Erzählung halb auf dem Weg.
Das Auffällige an den neuen Geschichten des Kinos ist, daß sie diese nahezu stumme, nach innen gewandte Form der Existenz mit großem Geschick auf Eheleute appliziert.
Das ist kein natürliches Gesetz, wie man im Vergleich mit Woody Allens neueren Ehekomödien sehen kann, von „Ehemänner und Ehefrauen“ über „Geliebte Aphrodite“ bis zu „Alle sagen: I love you“. Denn Allen zeigt den einzelnen inmitten eines Netzwerks, und das eheliche Begehren zusammenzubleiben wird mit der gleichen Sogkraft in den Strudel des Scheiterns gezogen wie alle anderen psychologischen Konstanten auch. Vielleicht sollte man den Ehefilm, von dem hier die Rede ist, im Unterschied zum Allen-Modell den „hermetischen“ nennen.
Der empfindlichste Punkt für eine Erzählung, die das Paar als Paar zeigen will, sind Kinder: Wie im richtigen Leben auch – das ödipale gleicht oft einem Bermudadreieck, in dem die Liebe mit den Vornamen untergeht. Übrig bleiben Mama und Papa. Nun wäre es natürlich öd, Ehegeschichten deshalb über kinderlose Paare zu stricken. Es ist also die Erfindung gefragt.
Der konzentrierteste unter den europäischen Autorenfilmern, Ari Kaurismäki, hat sich auch da etwas einfallen lassen. In „Wolken ziehen vorüber“ (1995) folgt er minutiös einem traurigen Ehepaar, das fast gleichzeitig arbeitslos wird und in der urbanen skandinavischen Tristesse versinkt. Kaurismäki überträgt, wie er es schon oft getan hat, die wortlose Kommunikation seiner Figuren auf die gesamte Erzählung, so daß man ganz unscheinbare Szenen höchst aufmerksam verfolgen muß, damit einem nicht das Wichtigste entgeht.
Sie, Illona, entsteigt einer Straßenbahn und geht in einen Park. Man sieht sie aus mittlerer Ferne, wie beobachtet von einem Detektiv. Sie hat Blumen dabei. Sie beugt sich nieder. Und schon ist Kaurismäkis Szene vorbei, die mit großer Wahrscheinlichkeit eine Frau am Grab ihres frühverstorbenen Kindes zeigt.
Sofort begreift man die verschworene Melancholie des Paares, das gegen alle Wahrscheinlichkeit an den Aussichten auf bessere Tage festhält: er als gebrochener Rock'n'Roller, sie als Dauerflunsch mit eiserner Disziplin. Es ist unmöglich, die beiden nicht zu mögen, auch wenn man nichts mit ihnen teilt. Außer, eventuell, den Stand der Ehe.
Selbst in der grotesken Entführungssituation von „Kansas City“ werden Kinder und Kinderwünsche subtil verhandelt. Blondie und Frau Senator Carolyn Stilton in einer riesigen Bahnhofshalle bei Nacht. Blondie mit angezogenen Beinen auf der Holzbank, etwas von Punk. Carolyn, den Mantel über die Knie geworfen wie ein Stoff von Vermeer. Sie sprechen über die Entführung des Lindbergh-Kindes:
Carolyn: Sie waren so ein zauberhaftes Paar.
Blondie: Meine Güte, war das Baby süß!
Carolyn: Alles perfekt. Ein schönes Paar, ein hübsches Baby... Er war erst drei Jahre alt.
Blondie: Er war nicht drei. Er war noch nicht einmal zwei! Er war achtzehn Monate alt, als sie ihn gefunden haben... Wenn ich sein Bild in der Zeitung gesehen habe, mußte ich jedesmal heulen.
Carolyn: Haben Sie Kinder?
Blondie: Nein.
Die Antwort, stellt sich auf Umwegen heraus, ist eine glatte Lüge. Blondie fabuliert, sie habe ihr kränkelndes Kind auf dringenden Wunsch von Johnny weggegeben. Inzwischen, behauptet sie später, lebe es nicht mehr. Auch in dieser Ehe ist das abwesende Kind der Leim, der die Eheleute – die glücklosen Verbrecher – verbindet; nur eben nicht als vermißtes Kind, sondern als geopfertes.
Auch der ganz neue Film von Alan Rudolph – „Liebesflüstern“, im englischen viel feiner: „Nachglühen“ („Afterglow“) – operiert mit Phantomkindern. Dem Ehepaar Mann ist die halbwüchsige Tochter weggelaufen; das andere, sehr viel jüngere Paar, die Byrons, zerfallen im Frühstadium der Ehe über dem Kinderwunsch, den sie hat und er nicht teilt.
Das Motiv wird so eingeführt: Lucky Mann, ein Handwerker aller Sparten, wird in das perfekte Apartment von Marianne Byron gerufen, wo sich die junge Dame im klimatisierten Wohlstand langweilt.
Lucky Mann, ein alternder Casanova mit Neigung zu tiefen Einsichten, wird von vornherein nicht nur gerufen, weil – kleiner Wink mit dem Zaunpfahl – die Wohnungstür klemmt. Und schon tapeziert er das Kinderzimmer mit einem Nachthimmel und stemmt einen Durchbruch zum Schlafzimmer; was weit weniger problematisch wäre, stemmte er nicht auch seine Auftraggeberin. Die Sache dürfte auf keinen Fall leidenschaftlich werden, wird sie aber.
Die Werbung für den Film hebt ab auf das Fremdgehen, von dem es heißt, es habe „schon so manch verborgenen Frust freigesprengt“. Aber das ist eben nur die Erregung der Projektion, Zeuge illegitimer Liebesakte zu sein.
Noch traut man sich nicht zu sagen, daß die Sexualität von Eheleuten durchaus Gegenstand visueller und intellektueller Neugier sein kann – wie die gewöhnlicher Verliebter auch.
Die Verirrungen und Intrigen sind nur abzubilden auf der Konstruktion legitimer Verhältnisse, und der Clou ist, daß sie sogar – oder gerade – unter dem Eindruck massiver Enttäuschung wiederherzustellen sind. Dabei bleibt die düstere suburbane Ehe der Manns so gruselig wie zuvor, aber sie beschreibt eben exakt den Radius von Phyllis, die in der Ehe ihre Abgründigkeit domestiziert, und von Lucky, dessen Kombination von Handwerker und Callman nur unter der Bedingung funktioniert, daß es ein abgesegneter Dauerbetrug ist. Das hohle Byron-Paar hatte keine Geschichte; jetzt hat es eine.
Man versteht durch einen Film wie „Liebesflüstern“ nicht besser, warum Menschen heiraten; die Frage stellt sich nicht. Aber was Alan Rudolph im gülden schimmernden Ambiente Montréals auf durchdringende Weise anschaulich macht, ist, daß die Ehe selbst als Objekt begehrt werden kann. Zunächst von den Eheleuten selbst. Aber – und daher rührt der Magnetismus der hermetischen Ehefilme – von anderen eben auch.
Als die Nouvelle Vague das europäische Kino zu dominieren begann, 1963, brachten die Cahiers du Cinéma ein Gespräch mit Roland Barthes. Darin findet sich folgender merkwürdiger Passus:
„Gegenwärtig hat es allzu häufig den Anschein, als würde die Moderne mit der Geschichte oder der Psychologie ein falsches Spiel treiben. (...) Die Werke der Moderne sind vor den zwischenmenschlichen und innerindividuellen Verhältnissen zurückgewichen.
Die großen ideologischen Emanzipationsbewegungen – um es unmißverständlich zu sagen, der Marxismus – haben den Einzelmenschen beiseite gelassen, und zweifellos ging das nicht anders. Doch weiß man auch sehr genau, daß hier etwas vergeudet wird (...): solange es noch eheliche Szenen geben wird, wird es auch Fragen an die Welt geben.“
Die ehelichen Szenen sind also das Beispiel, das Barthes einfällt, wenn er die Rückkehr der Psychologie in den Film herbeiwünscht. Die Filmkritik brachte die deutsche Fassung des Gesprächs erst 1977: zu spät für das Stichwort, denn die großen Zerwürfnisse des bürgerlichen Lebens waren Kinogeschichte geworden. Ehen galten als auslaufendes Modell.
Zwei Jahre später kam Robert Bentonsrecht elaboriertes Rührstück über den verlassenen Ehemann, der sein Verhältnis zum Beruf revidieren muß, um das ihm verbliebene Kind behalten zu können und zu dürfen.
Die Rückkehr zu den ehelichen Szenen folgt gewiß dem Wunsch nach einer psychologisch gewandten Erzählung insoweit, als die Geschichten der Wissenschaftler- gegen-Aliens und der Polizisten-gegen- Verbrecher im Detail fein gestrickt sein mögen, im Ergebnis aber immer auf biblische Dimensionen von Untergang und Triumph hinauslaufen. Keine Frage, das ist ermüdend.
Die hermetischen Ehefilme dagegen sind nicht nur psychologisch interessant, sondern setzen gegen die Erforschung der Seele den Pakt der Ehe, der die Eheleute nur bedingt als „Einzelmenschen“ darstellt.
In gewisser Weise sind sie immer schon vergesellschaftet, und das ist es wohl, was Leute fürchten, die in dauerhaften Paarbeziehungen leben und unbedingt nicht heiraten wollen (im Film und in der Wirklichkeit).
In „Kansas City“ preßt Blondie der Frau Senatorin die ehelichen Kosenamen ab: Den Senator nennt seine Frau zärtlich „Heini“, während er sie für diesen Zweck „Pussy“ (zu deutsch etwa: „Muschi“) getauft hat. Als der Senator von der Entführung hört und den Gouverneur anruft, beschwichtigt dieser den Senator: „Ihre Frau ist in Gefahr. Wir holen sie da raus. Beth war ihr Name, nicht?“ – „Carolyn.“ – „O ja, richtig. Beth ist Trumans Frau.“
Die Entführte trägt also für den Ehemann den landläufigen Ausdruck für das weibliche Geschlecht, während sie für das Umfeld einfach die Frau des Senators ist. Diese Kreuzung von Verdinglichung und Vergesellschaftung ist das Markenzeichen der Ehe.
Vielleicht ist es auch nur das Markenzeichen gewesen, und jetzt wird es als Spiel erkannt und nach allen Regeln der Kunst retrospektiv ausgelegt und -gedeutet.
Die Ehe funktioniert für die hermetischen Erzählungen wie ein großer Datencontainer, in dem so ziemlich alles Platz hat, und es hat um so mehr darin Platz, als der Container keine Risse zeigt. Das Spiel funktioniert nur, wenn die Ehe nicht vom Aspekt ihres Endes her betrachtet wird: Ganz wie aus der Sicht des Vatikans kommt eine Scheidung überhaupt nicht in Frage. Die Massivität dieses Eheverständnisses ist das eigentlich Überraschende.
Das gilt sogar für David Cronenbergs „Crash“ (1997), in dessen Mittelpunkt ein Ehepaar steht, das die eigenen sexuellen Kontakte über die Begegnungen mit anderen vehement belebt. Die Ehe ist so etwas wie der zentrale Schauplatz einer polymorph gelebten Sexualität. Durch einen schweren Autounfall verschiebt sich das Muster, und die Gier des Ehepaars kommt in den Sog des Unfallfetischismus. Zu den reizvollen Fremden gehört nun auch die Witwe jenes Mannes, der durch James' Schuld gestorben ist.
Die letzte Szene zeigt, wie James mit einem schrottreifen Straßenkreuzer ein kleines silbernes Cabrio in die Böschung abdrängt, wo es sich überschlägt. Heraus fällt eine Blonde. James läuft herbei und legt sich zu ihr: „Catherine, ist alles in Ordnung?“ – „James, ich weiß nicht.“ – „Bist du verletzt?“ – „Ich glaube nicht. Es ist nichts passiert.“ – „Vielleicht beim nächsten Mal, Schatz. Vielleicht beim nächsten Mal.“
Die gegenseitige Verkrüppelung als eheliche Dynamik ist gewiß eine extreme Fabel – eine Geschichte von J. C. Ballard, und Ballard heißt auch das Ehepaar James und Catherine in Cronenbergs Film, der zu soliden Magenkrämpfen führen will und das auch tut.
Interessant aber ist: Das Abenteuer der Perversion wird einem Ehepaar zugedacht, und die Unerschütterlichkeit seines Zusammenseins stellt den Fokus dar für die schnell fortschreitende Verschrottung menschlicher Verhältnisse, an denen „Crash“ sich ausdrücklich weidet.
Keiner der Filme propagiert, daß die Ehe anderen Formen des Zusammenlebens überlegen sei, und keiner stellt die Ehe als ausnahmslos lächerliche Institution dar. Allerdings wagen sich die Drehbücher und die Kameras an die Figuren ungleich näher heran, als das vor dreißig Jahren der Fall war. Damals galt die Ehe, wie scheinheilig auch immer, noch als die sittsame Form des Zusammenlebens.
Der obszöne Diskurs, den Ehepartner führen, bringt jetzt eine Menge Drehbuchfutter, und von Nacktszenen sind die Ehedarsteller nicht mehr ausgenommen. Die Ehe ist nicht mehr die Fassade, gegen die sich erregende, täuschende, flüchtige und befreiende Alternativen besonders deutlich zeichnen lassen.
Die Ehen bieten eine neue Form der Darstellung, deren psychologische Komplexität durch das imaginäre Haus – „den Tempel“ – an Dringlichkeit gewinnt. Der hermetische Entwurf ist eine deutliche Kritik an der mäandernden, irre gewordenen Psychoanalyse David Lynchs, des Regisseurs der TV-Serie „Twin Peaks“ und des Films „Wild At Heart“. Er führt zurück aus der Landschaft der Zeichen in die Architektur der zivilen Gesellschaft. Parallel sind im Film andere Bestrebungen zu beobachten, geschlossene Systeme von Neuem zu beschreiben: Gerichts-, Gefängnis- und Schulfilme sind groß in Mode.
Der symbolische Rahmen der modernen Liebesehe ist um so deutlicher, als er kaum noch von moralischen Konventionen gehalten wird: Was aus einer Ehe wird, hängt davon ab, was in der Ehe vor sich geht. Die Psychologie wird also nicht abgewertet, sondern innerhalb eines strengen Bezugsrahmens verschärft. Das Prinzip ist, daß am Symbolischen nach Leibeskräften gerüttelt werden darf, um zu zeigen, daß es hält.N
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