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Die Lebensmittel-Reform

Vegetarisch-luftig oder ökologisch-politisch: Durch Hamburgs Reformhäuser und Naturkostläden gingen  ■ Ines Klingenberg und Jakob Michelsen

Biskuittorte ohne Ei wird nichts, und Kuchen mit Ei ist für AllergikerInnen auch nicht empfehlenswert. Also auf ins Reformhaus, Ei-Ersatz kaufen. Den gibt es nur dort – nicht in Bio- und nicht in Naturkostläden. Nahe bei der Kieselgel-Zahncreme steht die Backzutat, unweit von einem Sortiment Bio-Wein für den abendlichen Absturz. Viele Produkte sind konventionellen nachempfunden; dieses Merkmal eint Reformhäuser und Naturkostläden. Selbst auf die „Pflanzenwürze“in der bekannten braunen Flasche brauchen EinkäuferInnen nicht zu verzichten; das biologisch-dynamische Kotelett allerdings suchen sie im Reformhaus vergebens.

So ähnlich das Warenangebot in weiten Teilen auch ist, so unterschiedlich sind jedoch die KundInnenkreise. Das zeigt sich bereits in der geographischen Verteilung der Geschäfte in Hamburg: Die Reformhäuser konzentrieren sich vornehmlich auf die bürgerlichen, wohlhabenderen Viertel. Stadtteile mit „alternativer“, studentischer EinwohnerInnenstruktur weisen mehr Naturkostläden auf. Kauft der Karoviertel-Papa seinem Nachwuchs die fair gehandelte Schokolade mit Zutaten aus kontrolliert biologischem Anbau, so gibt es für das Enkelchen der Volksdorfer Oma die gesunde Variante mit Fruchtzucker. Viertel wie Rothenburgsort, in denen sowohl die eine als auch die andere Klientel rar ist, sind Niemandsland.

Von ihrem Beginn an wurde die Gesundheitsbewegung politisch in verschiedenen Richtungen besetzt. Reformhäuser haben ihren Ursprung in der „Lebensreformbewegung“, die Ende des 19. Jahrhunderts aus der Naturheilbewegung und anderen zivilisationskritischen Strömungen entstand. Ihren verschiedenen Zweigen – von der Nacktkörperkultur bis hin zur Gründung ländlicher Siedlungen – war gemeinsam, daß „Natürlichkeit“als Lebensstil den negativen Auswirkungen von Zivilisation und Verstädterung entgegengesetzt wurde. Auch als Alternative zur damaligen Schulmedizin, die ihre PatientInnen häufig zur Ader ließ und ihnen Kupfer oder Quecksilber verabreichte.

Das Berufen auf „Ursprünglichkeit“paßte allerdings auch zu antimodernen, rückwärtsgewandten Einstellungen und konnte reaktionäre Ideologien nähren. Denn das Erheben von Gesundheit zur Norm grenzt das als krank oder „widernatürlich“Definierte aus und verbannt, was dem Ideal vom gesunden, kräftigen Menschen widerspricht. Hier fanden sich Berührungspunkte mit der frühen Eugenik („Rassenhygiene“). Doch auch aus sozialistischen Reihen erhielt die Bewegung Zuspruch: Weg von verschmutzten Städten, hin zu selbstbestimmtem Landleben.

Zur „natürlichen“Ernährung gehörte der Verzicht auf Fleisch, Fisch, Alkohol und Tabak. So auch im ersten Reformhaus, das 1887 in Berlin gegründet wurde und seine Waren neben dem Ladenverkauf hauptsächlich über den Versand feilbot. Außer vegetarischen Lebensmitteln und alkoholfreien Getränken enthielt das Sortiment auch Bekleidung, die dem bis dato ins Korsett gezwängten Körper Luft und Bewegungsfreiheit gewährte, sowie lebensreformerische Literatur.

Die Naturkostläden entstanden rund 100 Jahre später, das erste Geschäft wurde 1972 in Hamburg eröffnet. Die Bioläden gingen aus der neuen Ökologiebewegung hervor. Während sie ökologisch-politisches Bewußtsein mit gesunder Ernährung und fairem Handel verbinden wollen, verstehen sich die Reformhäuser laut „neuform“-Sprecher Frank Eckhardt als „Fachgeschäfte für gesundes Leben“. Daher bieten sie einen großen Anteil an speziellen Nahrungsmitteln, etwa für DiabetikerInnen und AllergikerInnen. Außerdem führen sie frei verkäufliche Naturarzneimittel.

Auch die Hauszeitschriften der Geschäfte sind auf die jeweilige Zielgruppe zugeschnitten. Die etwas altbackenen Reformhausblätter sprechen eher ältere Hausfrauen an: Es gibt Artikel zur Hausmedizin und Beiträge mit Titeln wie „Mit meinen Gefühlen leben“. Pflanzenkundliches wird mit Tierschutzthemen oder Zivilisationskritik verbunden, und die naturverbundene Kurzgeschichte „Im rauschenden Regen bei Nacht“endet so: „Es war, als schlüge immer wieder, doch mit langen Pausen, ein hängender Balken weich gegen einen Gong, und das sagte jedesmal, dumpftönend und tief aus seiner ruhenden und schwingenden und ruhenden Mitte heraus, das eine Wort: ,Ommmmmm!'“

Die Aufmachung des Naturkost-Magazins „Schrot & Korn“ist moderner, der Inhalt setzt stärkere politische Akzente. Beide sind leicht esoterisch angehaucht – wie auch manche Geschäfte.

Nüchterner sind die Markenbezeichnungen und Texte auf den Lebensmittel-Packungen: In Reformhäusern sind die meisten Produkte mit dem „neuform“-Siegel versehen. Es zeigt an, daß sie bestimmten Standards genügen, die von der „neuform Vereinigung Deutscher Reformhäuser eG“vorgegeben und kontrolliert werden – von einer Genossenschaft, in der sämtliche Reformhäuser zusammengeschlossen sind. Unter anderem sind künstliche Farbstoffe oder gentechnisch veränderte Zutaten tabu. Die LieferantInnen dürfen – mit wenigen Ausnahmen – lediglich Reformhäuser beliefern.

Nach wie vor wird hier das Gebot der fleischlosen Kost aufrecht erhalten. Dagegen vertreiben viele Naturkostläden auch Fleisch und Fleischprodukte aus kontrollierter Tierhaltung sowie Fischkonserven (Thunfisch mit dem Aufdruck: „...wird mit der Angel gefangen“). Die Reformhaus-Gummibärchen („gluten- und farbstofffrei“) enthalten zwar Gelatine, aber die Suche nach Steak oder Wurst bleibt vergeblich.

Eine besonders engagierte Naturkost-Firma versieht jedes Nahrungsgläschen mit einem Bibelspruch: „Entschieden das Rechte tun führt zum Leben, beharrlich Unrecht tun führt zum Tod (Salomo in Sprüche 11, 19)“auf der „Majo vegan“gibt das Motto für den Tag vor – ob sich nach Erwerb sämtlicher Produkte eine komplette Bibel an der Küchenwand aufstapeln läßt, ist allerdings nicht bekannt.

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