Machismo und der ganze Mist

■ Das Tangopaar Eric & Jeusa über die Klischees des Tanzes und einen empfehlenswerten Film

Seit zehn Jahren sind sie ein Paar. Und auch schon fast so lange kommen sie jedes Jahr wieder nach Bremen: Eric Müller und Jeusa Vasconcelos leben in Rio de Janeiro und gehören als einzige nicht-argentinische „Tangueiros“zur ersten Riege der Profis weltweit. Für einige Tage tanzten der Schweizer und die Brasilianerin nun wieder in der Hansestadt. Die taz sprach mit ihnen über das Tanzen, die Authentizität des Tango und über die Aussagekraft von Sally Potters Film „Tango Lesson“

taz: Sie kommen immer wieder nach Bremen. Was verbindet Sie mit der Hansestadt?

Eric Müller: Naja, meinen ersten Tangoschritt habe ich in Bremen gemacht! Nach der Tanztheater-Ausbildung bin ich damals gleich weggegangen. Trotzdem habe ich hier noch viele Kontakte. Und Bremen nimmt neben Marseille und Bern für den Tango in Europa sicher eine Pionierstellung ein.

Jeusa Vasconcelos: Da kamen schon Leute aus der Schweiz, weil sie wußten, daß in Bremen auf diesem Niveau Tango getanzt wird.

Kann man das hiesige Publikum mit dem südamerikanischen vergleichen?

Müller: In Deutschland war der Tango von Anfang an etwas Subkulturelles für eine bestimmte Szene, aber das ändert sich langsam. In Rio ist Tanzen ein soziales Happening, fast ein Volksvergnügen.

Vasconcelos: Außerhalb Argentiniens haben die Leute komischerweise mit dem Tango immer etwas Kultiviertes verbunden, obwohl er das ursprünglich gar nicht war.

Müller: Der Tango ist ja von Argentinien auch erst über Europa und Hollywood nach Rio gekommen, und dann verbreitete sich die übliche Vorstellung von Tango ... diese „zackige“Maske, das dumme Macho-Klischee! Der Tango-Machismo, das kann man jetzt auch in dem Sally-Potter-Film sehen, ist doch nur Gockel-Gehabe.

Hier herrscht also ein falsches Bild vom Tango?

Müller: Das stammt auch noch aus den 80ern, als man in Deutschland wieder angefangen hat, zu Piazzola-Musik über das Parkett zu wetzen, wie ich das auch getan habe. Viele haben sich nie bemüht, zum authentischen Tango zu finden, weder technisch noch mental.

Bringt der Sally Potter-Film denn ein authentisches Bild?

Vasconcelos: Er zeigt ganz klar die Unterschiede zwischen Bühnen-Tango und Tango für jedermann und auch die ganzen skurrilen Entwicklungen in Europa.

Müller: Geht ihn euch angucken! Wenn Ihr die Argentinier in dem Film tanzen seht, ist das schon fast obzön – das Zusehen, nicht, was sie da tun. Das Tanzen ist doch etwas sehr Inniges, Intimes. Grandios ist aber, daß Sally Potter möglichst diskret versucht hat, dies alles zu filmen. Ich kenne die Darsteller alle als Kollegen. Und die sind so, die spielen das nicht.

Wird „Tango Lesson“einen Boom auslösen?

Müller: Er hat eine historische Wirkung, weil er zum ersten Mal bei einem größeren Publikum mit den Klischees aufräumt. Zum Beispiel mit der ganzen „Machismo-Erotik“: der dominante Mann, die hingebungsvolle Frau und „der Beischlaf auf der Bühne“... diesem ganzen Mist!

Sie geben auch jeweils getrennte Männer- und Frauenkurse?

Vasconcelos: Frauen müssen aktiver werden. Manche tanzen weich und mit guter Haltung, aber passiv. Ich muß auch selbst hören und umsetzen, was mich tanzen macht: nämlich die Musik. Mann und Frau bewegen sich im Tango ja häufig asynchron.

Müller: Auch die Männer trauen sich nicht ... Dabei ist das männliche Führen relativ, wenn der Tanz zu einem Dialog wird. Und es kommt nur dann zu einem Dialog, wenn ich mit einer aktiven Frau tanze. Es ist doch langweilig, wenn sie nur den Impuls exekutiert, den sie von mir kriegt. Tango ist der dialogkräftigste Tanz überhaupt. Leute, die das einmal erlebt haben, hören deshalb auch nie wieder mit dem Tango tanzen auf.

Geben Sie lieber Unterricht oder Bühenshows?

Müller: Physisch ist das eigene Training die härtere Arbeit. In den Kursen muß man dagegen jede Minute präsent sein.

Vasconcelos: Schwierig an den Kursen hier ist, wenn die Leute mit irgendeinem therapeutischen Anspruch kommen ...

Ein therapeutischer Anspruch?

Müller: Beim Paartanz ist natürlich immer eine soziale Komponente dabei, das ist auch okay. Aber die Grenzen verwischen sich manchmal zwischen sozialem Bedürfnis und speziellen Problemen, die einige mit Tango lösen wollen. Aber wir sind keine Therapeuten!

Fragen: Helene Hecke und

Karsten Joost

Regelmässige Tango-Termine: Tango 46, Media Luna, La Cita, La Milonga und Montags im Lagerhaus; „Tango Lesson“läuft im Cinema und Casablanca (Ol)