: „Sonntagsgerichte“haben wenig zu tun
■ Bilanz des ersten Monats der neuen „beschleunigten Gerichtsverfahren“am Wochenende: Es gab gerade drei Gerichtsverfahren, und eines davon brachte einen handfesten Justizirrtum
Seit dem 1. Oktober können kleine Ganoven, die auf frischer Tat ertappt werden, schnell vor ihren Eilrichter kommen und sogar am Wochenende verurteilt werden. Aber in der Praxis hat das beschleunigte Verfahren bisher „nicht so sehr viel gebracht“, bestätigte der Leitende Staatsanwalt, Jan Frischmut, auf Anfrage gegenüber der taz. Es gab im ersten Monat lediglich eine Handvoll Verfahren, nur an zwei Sonntagen hatten die Richter überhaupt zu tun. Offiziell will die Bremer Justiz nach einem halben Jahr Bilanz ziehen.
Eigentlicher Sinn der Sonntags-Urteile ist es, vor allem „durchreisende“Personen oder Ausländer ohne Wohnsitz im Lande ihrer Strafe zuzuführen; bisher wurden für Personen, die dann doch nicht für die Justiz greifbar waren monatelang umsonst Aktenvorgänge ausgeführt. Die Bilanz des ersten Monats: Am ersten Wochenende gab es ganze zwei Verfahren, dann war erst einmal zwei Wochen lang Ruhe. Am 20. Oktober scheiterte ein Versuch des beschleunigten Gerichtsverfahrens. Am 21.10. sollte ein Mann vors Schnellgericht, der im Flaschenlager von Becks versucht hatte, „aus dem Leergut Reste zu trinken“– der Richter lehnte das Schnellverfahren ab. Am 22.10. wurden ein Pole zu 300 Mark, eine Polin zu 1.000 Mark wegen Ladendiebstahls verurteilt, am 23.10. ein Italiener. Am 26.10. gab es das dritte „Sonntagsverfahren“im Oktober.
Insbesondere bei Verfahren gegen Jugendliche ist, so die Befürworter der beschleunigten Verfahren, der zeitliche Zusammenhang zwischen Tat und Gerichtsverhandlung wichtig. Die hat es aber in Bremen bislang nicht gegeben, schon weil die Jugendgerichtshilfe nicht kurzfristig verfügbar ist.
Besonders peinlich in der Statistik der „beschleunigten Verfahren“ist ein Fall vom ersten Wochenende. Ein Autodieb war vorgeführt worden. Im Sommer war der Mann wegen desselben Deliktes schon rechtskräftig verurteilt worden. Was für den Dieb ohne Folgen blieb: Er war nicht aufgefordert worden, seine Haftstrafe anzutreten. Im „beschleunigten Verfahren“stand er dann Anfang Oktober an einem Sonntag wieder vor Gericht, schnell und ohne die Möglichkeit, einen Anwalt zu engagieren. Der Amtsrichter verknackte ihn zu sechs Monaten Gefängnis.
So weit, so schlecht, denn das Urteil war rechtswidrig: Im „beschleunigten Verfahren“ohne Verteidiger dürfen nur bis zu fünf Monaten Freiheitsstrafe verhängt werden. Da der Autodieb aber keine Rechtsmittel einlegte, ist er nun rechtskräftig verurteilt.
Da werde „mit Kanonen auf Spatzen geschossen“, hatte die Bremer Strafverteidiger-Initiative schon vor dem Start der neuen beschleunigten Verfahren erklärt. (vgl. taz 12.9.) „Beschleunigte Verfahren“gab es in Bremen theoretisch auch früher, seitdem 1993 bundesweit die gesetzliche Möglichkeit geschaffen wurde. In der Praxis kam das aber in Bremen kaum vor. Erst als durch Bundesrecht das „beschleunigte Verfahren“mit der Möglichkeit verbunden wurde, einen ertappten Klein-Täter bis zum Gerichtstermin in Haft zu halten, wurden in Bremen die praktischen Voraussetzungen geschaffen. „Wenn samstags ein Ladendieb ohne festen Wohnsitz in Bremen geschnappt wird, dann soll der nicht bis Montag nach dem neuen Paragrafen der Strafprozeßordnung in Haft sitzen. Nur deshalb verhandelt das Gericht auch am Wochenende“, erklärt Amtsgerichts-Sprecherin Ellen Best. K.W.
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